(c) Rogelio Bernal Andreo / Nasa Image Gallery

Vom Urknall zum Leerraum

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Vor 50 Jahren bauten Menschen mit vier Computern das Internet. Dies war die Sekunde Null des digitalen Universums, der Urknall. Es folgten eine Expansionsphase, das Erscheinen von seltsamen Attraktoren und schließlich das Ende als weitgehend ungenutzte Leere.

1969: Der Urknall des Internets mit vier Computern

Die Geschichte des Internet beginnt in den späten 60er Jahren in den USA. Die dem amerikanischen Verteidigungsministerium unterstellte ARPA („Advanced Research Projects Agency“) subventionierte Entwicklungen im Bereich der Computervernetzung. Die ARPA begann 1969, die Rechner der verschiedenen militärischen und akademischen Einrichtungen in den USA untereinander zu vernetzen. Das Netz trug den Namen ARPAnet und bestand anfangs aus lediglich vier Rechnern.

Das ARPAnet wuchs langsam, aber stetig. Schnell zeigte sich, dass nicht nur das Verteidigungsministerium einen Bedarf an Vernetzung hatte: Weitere Organisationen, Regierungsdienststellen und eine Reihe von Firmen aus dem Sektor Netzwerktechnologie wollten teilhaben. Um dem gestiegenen Bedarf gerecht zu werden, wurde die bestehende Netzstruktur aus etwas mehr als 50 Rechnern ab 1973 auf ein neues und speziell für das ARPAnet entwickelte Protokoll umgestellt: IP, das Internet Protocol. Es ist heute noch die technische Basis des Internets.

Anfang 1981 bestand das ARPAnet aus 213 Rechnern. Die militärischen Teile gliederten sich in einem eigenen Unternetz namens Milnet aus. Das ARPAnet als Ganzes wurde seit etwa 1983 immer öfter als „Internet“ bezeichnet. Auch international schritt die Vernetzung fort und seit Mitte der achtziger Jahre wurden überall auf der Welt verstärkt IP-Netze aufgebaut und mit dem amerikanischen Internet verbunden. 1989 waren etwa 80.000 Rechner am Internet angeschlossen – in der Überzahl Universitäten, staatliche Einrichtungen und Forschungsinstitute.

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Das Internet Systems Consortium hat bis vor einiger Zeit den sogenannten Internet Domain Survey durchgeführt, eine Zählung der öffentlich zugänglichen IPv4-Adressen. Das sind nicht ausschließlich Server mit einem spezifischen Angebot. Viele Rechner nutzen das Internet über eine feste IP-Adresse. Das sind oft Gateways für die Computer von Heimanwendern. Für die letzten Jahre ist dieser Survey nicht mehr zuverlässig, da die Anzahl der über IPv6-Adressen zugänglichen Rechner stark gestiegen ist. Deshalb ist Survey ausgesetzt.

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1992: Beginn der Expansion dank World Wide Web

Mit dem Beginn der neunziger Jahre explodierte das Internet. Anfang 1991 waren etwa 376.000 Rechner angeschlossen, 1996 bereits mehr als 21 Millionen. Dazwischen lag die Einführung des World Wide Web (WWW). Ursprünglich war das nur einer von vielen Diensten im Internet, doch inzwischen gibt es neben E-Mail eigentlich nur noch das Web. Erfunden wurde es von dem britischen Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee. Er arbeitete Ende der achtziger Jahre am CERN in Genf und schlug der Direktion ein modernes Informationsmanagementsystem vor, das den Datenaustausch unter Forschern vereinbaren sollte.

Grundprinzip des Web ist sogenannter Hypertext: Informationen sind in  Textform auf Seiten dargestellt und untereinander mit Links verknüpft. Ein Mausklick darauf und schon taucht eine andere Seite auf, die weitere Informationen liefert. Das Web wurde binnen weniger Jahre zu einem gigantischen Erfolg, aufgrund seiner leichten Verständlichkeit, den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und der Tatsache, dass Berners-Lee keine geschäftlichen Interessen mit seiner Erfindung verfolgte. Er hat damit eine kostenlos nutzbare Infrastruktur für den freien Austausch von Informationen geschaffen.

1992 ging das Web offiziell online, so dass jeder einen Webserver aufsetzen und dort irgendetwas anbieten konnte. Zunächst gab es nur zehn Webserver weltweit, ein Jahr später bereits 130 und bereits 1997 wurde die Millionengrenze überschritten. Die Entwicklung beschleunigte sich nach der Jahrtausendwende noch einmal deutlich stärker, denn es gab immer mehr Möglichkeiten im Web: Musik hören, Videos gucken, spielen, plaudern, kaufen, sich selbst darstellen und digitalen Sex haben — oder wenigstens anschauen.

2006: Das Erscheinen des seltsamen Attraktors Facebook

Soziale Netzwerke wie Friendster oder Myspace waren einer der vielen Subtrends im Web der Nuller Jahre. Vor allem Myspace hat wegen der quietschbunten und beliebig knetbaren Oberfläche rasch Millionen Fans gefunden. Doch die sozialen Netze der Anfangszeit existieren nicht mehr oder sind bedeutungslos. Nachzügler Facebook hat durch geschickte Adaption diverser Trends und eine ebenso geschickte Einkaufspolitik eine umfassende Infrastruktur aufgebaut.

Inzwischen ist ein großer Teil der Weltbevölkerung bei Facebook, Instagram oder WhatsApp vertreten. Das soziale Netzwerk von Mark Zuckerberg hat sich zu einem enormen Attraktor entwickelt, dessen Schwerkraft Nutzer in Milliardenzahl anzieht. Viele Leute kennen fast nur noch Facebook und identifizieren es mit dem Internet. Kein Wunder, kann man dort doch ohne Wechsel der Website mit Familie und Freunden plaudern, Nachrichten lesen, spielen, über Themen diskutieren und noch so manches mehr.

Durch die ebenfalls bedeutenden Plattformen Instagram und WhatsApp hat das Unternehmen Facebook einen enormen Einfluss auf die Jugendkultur und speziell auf die Internetkultur. Zwar ist das Selfie auf Myspace entstanden, aber erst die Nutzer von Instagram haben es perfektioniert und sogar zum Geschäftsmodell gemacht – der Influencer entstand. Das Unternehmen hat sogar technologische Trends umgekehrt: Der Aufstieg von WhatsApp hat den Abstieg der SMS bewirkt, die inzwischen mehr und mehr in der Nische verschwindet.

[toggle title=“Grafik: Anzahl der Websites im Internet“]

Die Menge der Websites wird über eine Domainzählung sowie zusätzlichen statistischen Erhebungen von Internet Live Stats geschätzt. Dabei ist die Anzahl der Sites nicht deckungsgleich mit der Anzahl der an das Internet angeschlossenen Computer, die diese Websites beherbergen. NetCraft hat im August 2019 etwa 8,94 Millionen solcher Computer ermittelt. Tatsächlich aktive Websites werden über eine Eigenheit des „Domain-Parking“ erkannt: Da die jeweiligen Websites über Vorlagen erzeugt werden, ist ihre Struktur immer gleich.

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2019: Das Internet besteht aus leerem Raum

Das Internet des Jahres 2019 ist ein seltsamer Ort. Es gibt ungefähr 1,7 Milliarden einzelne Websites, aber nur ein paar Dutzend sind tatsächlich von großer Bedeutung. Hinzu kommt, dass viele Services nicht primär über eine Website genutzt werden — etwa Instragram und WhatsApp oder WeChat und TikTok aus China.

Das Bemühen dieser wenigen Websites ist es, die Nutzer anzuziehen und festzuhalten. Google muss man bei der Informationssuche oft nicht mal mehr verlassen, die wichtigsten Stichworte werden dort angezeigt. YouTube bietet alles, was sich in Form eines Videos pressen lässt — von der Mathehausaufgabe über Kochrezepte bis in zu Verschwörungstheorien. Die Nutzer verbringen Stunden dort und informieren sich häufig überhaupt nicht mehr aus anderen Quellen.

Der Rest des World Wide Web besteht in erster Linie aus leerem Raum. Mashable weist darauf hin, dass der größte Teil aller Websites aus inhaltslosen Seiten besteht, für ungenutzte und lediglich geparkte Domain-Namen. Die Anzahl der aktiven Websites liegt nur bei etwa 200 Millionen, der Wert wächst kaum noch. Der Rest ist ein einziges großes Nichts, 90 Prozent Leere und Stille.

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