Für einen V-Verlauf sind wir noch ganz schön weit unten: Die Wirtschaftsweisen haben am 20. März in ihrem Sondergutachten für Deutschland einen tiefen Absturz mit vergleichsweise schneller Erholung prognostiziert. Das war zu optimistisch gedacht und ist bereits jetzt von der Wirklichkeit überholt.
Die stärkste Wirtschaftskrise seit 1929
Das Statistische Bundesamt ermittelte am 15. Mai einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,2 Prozent. Die Bundesregierung geht von 6,3 Prozent für das ganze Jahr 2020 aus. Kurz gesagt: Die Rezession ist da und sie ist beispiellos. Dieser starke Einbruch liegt unter anderem auch daran, dass die Corona-Krise sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite betrifft.
Denn anders als in der Finanzkrise von 2008 bleiben die Verbraucher nicht unbeeindruckt, im Gegenteil. Außer bei Lebensmitteln und Unterhaltungsmedien haben die Verbraucher deutlich weniger konsumiert. Diese Kaufzurückhaltung wird uns noch lange erhalten bleiben. So mussten deutsche Autohersteller bereits wenige Wochen nach dem Neustart ihrer Produktion den Ausstoß wieder verringern, weil die Kunden ausbleiben.
Doch es ist zu einseitig, das Bild nur schwarz in schwarz zu malen. Die wirtschaftlichen Sektoren sind unterschiedlich betroffen. So wird in den nächsten Monaten die Zahl der Insolvenzen in einigen Branchen stark ansteigen, während andere weniger betroffen sind oder sogar von der Krise profitieren. Zu letzteren gehören vor allem die großen Plattformunternehmen, in erster Linie Amazon.
Digitale Vorreiter sind widerstandsfähiger
Eine genaue Analyse der Folgen der Corona-Krise in unterschiedlichen Branchen bringt das Trendbook Smarter Enterprise, dass ich zusammen mit dem digitalen Mastermind Bernhard Steimel geschrieben habe. Unsere These dabei: Je stärker ein Unternehmen digitalisiert ist, desto besser ist es mit der Krise klargekommen.
Das eindrücklichste Beispiel ist natürlich das Homeoffice. Viele Unternehmen haben sich bisher dagegen gewehrt. So verschenkten sie in der Corona-Krise wertvolle Zeit, bis alle Mitarbeiter in ihren Heimbüros wieder arbeitsfähig waren. Nur Unternehmen mit digitalen Arbeitsplätzen konnten ab Tag Eins ungebremst weiter arbeiten.
Viele weitere Beispiele finden sich in der Studie, aber auch in einem Gespräch zwischen Bernhard Steimel, dem Wirtschaftsjournalisten Gunnar Sohn und weiteren Digitalexperten. Auch hier die einhellige Meinung: Digitale Vorreiter sind widerstandsfähiger. Deutsche Firmen sollten davon lernen, gerade jetzt, während des Neustart der Wirtschaft.
Die Krise als Turbo der Digitalisierung
Es gibt eine ganze Reihe an Unternehmen, die in der Krise geschickt agiert haben. Ein Kosmetikunternehmen setzte das Personal der geschlossenen Filialen als Berater im Online-Verkauf über Social-Apps wie WeChat ein. Eine Restaurantkette entwickelte Halbfertig-Gerichte, die das Kochen zu Hause erleichtern. Ein Lebensmittelhersteller sah das Hamstern voraus und verlagerte seinen Vertriebsschwerpunkt auf E-Commerce.
Die Unternehmen waren dadurch in der Lage, wenigstens einen Teil ihrer Umsätze zu halten und nach dem Neustart der Wirtschaft zu wachsen. Diese Beispiele haben allerdings einen Haken: Sie stammen aus China. Weit fortgeschrittene Digitalisierung und eine agile Arbeitsweise erlaubten rasche Krisenreaktion bereits im Januar. Deutsche Unternehmen dagegen mussten häufig erst die technischen Voraussetzungen für Webshops oder Videomeetings schaffen.
So macht Corona schmerzhaft auf viele Digitalisierungslücken in der deutschen Wirtschaft aufmerksam und wirkt gleichzeitig als Digitalisierungsturbo. Einige Lücken sind jetzt im Eiltempo geschlossen worden, andere erfordern hohe Investitionen in digitale und nachhaltige Technologien – um Innovationen zu schaffen.
Das alternative Ende: Die neue Normalität ist die alte
Unser Trendbook hat einige grimmige Nachrichten für die deutsche Wirtschaft. Wir sind aber optimistisch gestimmt und gehen davon aus, dass Wirtschaft und Politik in Deutschland verstanden haben. notwendig sind jetzt mehr Digitalisierung, neuartige (agile) Arbeitsweisen und viel Innovation.
Für bewegliche Unternehmen ist das meist kein Problem. Die im Vergleich zur Bay Area eher kleine, aber fix agierende Startup-Szene in Deutschland zeigt es. Auch auf den ersten Blick traditionell wirkende Mittelständler reagierten fix, beispielsweise Trigema als ein Vorreiter bei der Produktion von Stoffmasken.
Doch gerade einige Unternehmen aus deutschen Kernbranchen scheinen bei diesen Lektionen geschlafen zu haben: Sie kappen Investitionen, kürzen Forschungsausgaben und stoppen Innovationsprojekte, wie der Plattformexperte Holger Schmidt in einem Artikel in der Zeit kritisiert. Die große Gefahr ist, dass die Unternehmen wieder in ihre alten, abwehrenden Reflexe verfallen und die üblichen Verdächtigen aus der GAFA-Ecke die einzige Gewinner der Krise sind.
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