Steve Jobs gilt als Erfinder des iPhones, doch das ist nicht ganz richtig. Denn eine genuine Erfindung ist es nicht, eher ein Konglomerat aus vorhandener Technik. So gab es 2007, im Jahr der Einführung des iPhones, bereits Smartphones. Sie besaßen oft eine Minitastatur und manchmal einen Touchscreen, der mit einem kleinen Stift bedient wurde. Das war immer ziemlich fummelig, sodass Jobs auf die Tastatur verzichtete und stattdessen einen Touchscreen nutzte, der sich mit den Fingern bedienen ließ.
Der Rest ist Geschichte. Das iPhone fand mit den kostengünstigen Android-Smartphones Nachahmer für den Massenmarkt und so haben heute viele zu jeder Zeit und an jedem Ort ein Smartphone dabei — das kleine und leichte Universalgerät rund um Kommunikation, Information und Wissen.
Ein Vorläufer des Smartphones
Wenn es so etwas wie einen Erfinder dieser Geräteklasse gibt, dann ist das erstaunlicherweise ein deutscher Schriftsteller, der 1895 geboren wurde: Ernst Jünger. Er hat nach 1945 den Pfad des Kriegers verlassen und mit unterschiedlichen literarischen Genres experimentiert, unter anderem mit utopischen Romanen.
Sein erster Versuch in diesem Genre war Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt von 1949. Das Buch bietet keine Science-Fiction in der Nachfolge von Hans Dominik, sondern eine Utopie im Stile Thomas Morus‘ — den Entwurf einer fiktiven Gesellschaft, die andere historische und gesellschaftliche Traditionen besitzt. In dem Buch ist sie autokratisch organisiert, so gibt es unter anderem eine ständige Überwachung aller Bürger.
Vehikel dafür ist der Phonophor (Allsprecher), der als eine Art Mobiltelefon allerlei Zusatzfunktionen besitzt, inklusive Personenidentifikation, Navigation, Geldbörse und einer Möglichkeit zur Anpeilung. Der Phonophor gehört zusammen mit Dingen wie Weltraumfahrt, Strahlenwaffen und Schwebepanzern zum futuristischen Hintergrundgemälde des Buches. Jünger hat dieses Szenario allerdings nur wenig ausgearbeitet. Es ist in erster Linie eine Markierung, die den Roman zeitlich in der Zukunft verankert. Doch zu seiner Idee des Phonophor schreibt Jünger etwas ausführlicher.
Die Vorzüge von Telefon und Radio
Ein Phonophor wird als flache Hülse in der linken Brusttasche getragen, aus der er fingerbreit hervorragt.
[Ein Phonophor überträgt] Orts- und astronomische Zeit, Länge und Breite, Wetterstand und Wettervoraussage. Ersetzt Kennkarte, Pässe, Uhr, Sonnenuhr und Kompaß, nautisches und meteorologisches Gerät. Vermittelt automatisch die genaue Position des Trägers an alle Rettungswarten bei Gefahren zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft. Verweist im Peilverfahren an jeden Ort. Weist auf den Kontostand des Trägers beim Energeion und ersetzt auf diese Weise das Scheckbuch bei jeder Bank und jeder Postanstalt, und in unmittelbarer Verrechnung die Fahrkarten auf allen Verkehrsmitteln. Gilt auch als Ausweis, wenn die Hilfe der örtlichen Behörden in Anspruch genommen wird. Verleiht bei Unruhen Befehlsgewalt.
Vermittelt die Programme aller Sender und Nachrichten-Agenturen, Akademien, Universitäten, sowie die Permanentsendungen des Punktamtes und des Zentralarchivs. Hat Anschluß an alle Radiostationen mit ihren Strömen des Wissens, der Bildung und Unterhaltung, soweit sie durch Ton und Wort zu übermitteln sind. Gibt Einblick in alle Bücher und Manuskripte, soweit sie durch das Zentralarchiv akustisch aufgenommen sind, ist an Theater, Konzerte, Börsen, Lotterien, Versammlungen, Wahlakte und Konferenzen anzuschließen, und kann als Zeitung, als ideales Auskunftsmittel, als Bibliothek und Lexikon verwandt werden. Gewährt Verbindung mit jedem anderen Phonophor der Welt, mit Ausnahme der Geheimnummern der Regierungen, der Generalstäbe und der Polizei. Ist gegen Anrufe abschirmbar. Auch kann eine beliebige Menge von Anschlüssen gleichzeitig belegt werden – das heißt, daß Konferenzen, Vorträge, Wahlakte, Beratungen möglich sind. Auf diese Weise vereinen sich die Vorzüge der Telephone mit denen der Radios.
Ernst Jünger: Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt, Berlin 1948
Zusammenführen und weiterdenken
Diese Erklärungen und vor allem der letzte Satz zeigen deutlich, dass der Phonophor ausschließlich eine Sprachschnittstelle nutzt. Ein kleiner Minibildschirm mit Bedienung per Berührung war für Jünger damals unvorstellbar. Zwar kannte er mit hoher Wahrscheinlichkeit die ersten TV-Versuche in den 193oer Jahren und die darin benutzte monströse Technik. Doch er hat sie wohl als nicht für die Miniaturisierung geeignet betrachtet.
Denn der beinahe wichtigste Aspekt des Phonophors ist seine Kleinheit. Jünger hat scharfsinnig erkannt, dass technische Geräte im Laufe der Zeit schrumpfen. Er hat auch in anderer Hinsicht bereits vorhandene Phänomene weitergedacht. So sagten die Mitarbeiterinnen der Handvermittlung im Fernsprechamt seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf Wunsch auch die Uhrzeit an. Ab 1937 wurde die Zeitansage automatisiert und von hier bis zum akustischen Lexikon ist es nur ein kurzer Denkschritt.
Ernst Jünger hat etwas ähnliches gemacht wie sechs Jahrzehnte später Steve Jobs. Er hat die vorhandene Technik weitergedacht und zusammengeführt. Aber anders als Jobs musste er sich um die Verwirklichung keine Gedanken machen, sodass manche Funktion eher umständlich ist. Denn gegenüber Audio und Video hat die Textkommunikation einen großen Vorteil: Sie ist schnell. Viele Leute lesen ein Buch rascher als sie es in einem Audiobook anhören könnten.
Innovation bedeutet nicht: Völlig neu
An der verblüffenden Ähnlichkeit des Phonophor mit dem iPhone lässt sich zeigen, was Innovation wirklich bedeutet und was nicht. Beide Geräte sind innovativ, weil sie vorhandene Ideen bündeln und zu einer Novität zuspitzen. Sie sind jedoch nicht fundamental neu. Ein Innovator hat immer einen Ausgangspunkt — er muss die Innovation ja denken können, auf der Basis seines aktuellen Wissensstands.
Doch er darf nicht dabei stehenbleiben. Ein erfolgreicher Innovator stellt gängige Denkmuster infrage und gibt sich nicht mit scheinbaren Naturgesetzlichkeiten zufrieden. Nur weil eine Sache immer schon auf eine bestimmte Weise gemacht wurde, bedeutet das nicht, dass es nicht auch anders geht. Und nur weil eine Sache noch nie gemacht wurde, ist sie nicht grundsätzlich unmöglich.
Entscheidend ist ein frischer Blick auf Selbstverständlichkeiten und der kommt meist von außen. So haben häufig fachliche Außenseiter gute, innovative Ideen, denn sie sind mit den Konventionen und Traditionen eines Sachgebiets nicht vertraut. Beides kann durchaus hinderlich sein. Wie sagte der Dadaist Francis Picabia 1922? „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“