Teslas größter Feind ist keiner der traditionellen Autohersteller. Sie bieten (im Moment) keine konkurrenzfähigen Modelle. Der technische Vorsprung des US-Unternehmens bleibt trotz aller Anstrengungen groß: Hervorragende (bald Kobalt-freie) Akkus mit einem ausgereiften Temperaturmanagement, hocheffiziente Elektromotoren und eine beispiellose Software. Kurz: Die OEMs bauen E-Autos, Tesla dagegen liefert ein Gesamtkonzept inklusive Supercharger-Infrastruktur.
Doch während der letzten Monate ist ein neuer Gegner für Tesla aufgetaucht, der den Erfolg des Unternehmens bedroht: Tesla selbst. Denn mögen auch die Autos einen technologischen Spitzenplatz einnehmen, die Qualitätssicherung und der Service vor, während und nach der Auslieferung ist unterirdisch – finden viele Tesla-Besitzer wie Marcus Mayenschein.
Verarbeitung schlechter geworden, meint Tesla-Fahrer
Der Rastatter ist langjähriger Modell-S-Besitzer und fährt seit kurzem ein neues Model S Performance. Grundsätzlich ist er begeistert von den Neuerungen in der aktuellen Serie mit der internen Bezeichnung „Raven“, die seit dem Mai ausgeliefert wird. „Aber die Verarbeitung und der Lack sind definitiv schlechter als vor 3 Jahren! Dies weiß ich auch von zahlreichen privaten Zuschriften“, schreibt er zu einem 15-minütigen Video, in dem er alle Probleme vorstellt und auch die ersten Reparaturen zeigt.
Mayenschein führt die Probleme in erster Linie auf Personalmangel bei gleichzeitiger Priorität einer möglichst raschen und zahlreichen Auslieferung zurück. Dadurch wird offensichtlich die Übergabe eines problemfreien Autos zum Glücksspiel. Dieser Käufer eines Model 3 hat nichts zu klagen. Das Auto ist perfekt verarbeitet, wie Tesla-Doc Ove Kröger beim Check feststellte. Demgegenüber stehen zahlreiche Käufer, die zum Teil erhebliche Mängel hatten, wie dieser Thread im Forum „Tesla Fahrer und Freunde“ zeigt.
Die Liste der Schwierigkeiten ist lang: Schlechte oder fehlende Lackierung, falsch montierte Bauteile, elend lange Wartezeiten auf einen Reparaturtermin beim Servicecenter, keine Rückrufe, nicht erreichbarer Service, und so weiter und so fort. Wer eine Stunde Zeit hat, sollte sich dieses Video anschauen. Mayenschein und der mit ihm befreundete Tesla-Fahrer Gabor Reiter diskutieren hier intensiv über die aufgezählten Probleme. Sie fordern von Tesla, dringend Qualitätssicherung und Service zu verbessern. Andernfalls vergraule das Unternehmen potentielle Kunden abseits der innovationsfreudigen Early Adopter der Elektromobilität.
Hallo Tesla: Die Zeit der Early Adopter ist vorbei
Bei ihnen gibt es eine gewisse Leidensfähigkeit: Wer in einer frühen Phase innovative Technik nutzt, ist durchaus bereit, niedrigere Standards bei Qualität und Service zu ignorieren. Doch langsam findet die Elektromobilität auch Aufmerksamkeit bei durchschnittlichen Autokäufern, die für ihr Geld ein hochwertiges Auto und herausragenden Service wünschen.
Der typische Autokäufer möchte losfahren und längere Zeit keine Werkstätten und Servicecenter von innen sehen. Und falls doch mal etwas ist, möchte er Termine oder Ersatzteile nicht innerhalb von zwei Monaten, sondern zwei Tagen. Neukunden erwarten von Tesla also einen Auftritt wie ein typischer OEM. Dies betrifft auch den B2B-Markt, der bei den traditionellen Autoherstellern überlebensnotwendig ist Wenn Tesla langfristig überleben will, muss es auch diesen Markt angreifen. In Teilen passiert das bereits, denn einige Autovermietungen haben sich auf Elektromobilität spezialisiert.
Die größte ist NextMove aus Leipzig, die 380 Elektrofahrzeuge zur Kurz- und Langzeitmiete anbieten, neben den Modellen von Tesla auch von allen relevanten Herstellern. Stefan Moeller, einer der beiden nextmove-Gründer, hat von Anfang an Tesla-Modelle in das Portfolio aufgenommen. Sie gehören natürlich zu den gefragtesten Mietfahrzeugen und so hat das Unternehmen im Dezember 2018 einhundert (!) Model 3 bestellt. Insgesamt ging es also um eine Bestellung im Wert von mehr als fünf Millionen Euro, wenn man den Grundpreis einer Long-Range-Version zugrunde legt.
Nur jedes vierte Model 3 für nextmove war fehlerfrei
Doch bei der Auslieferung waren die nextmove-Mitarbeiter überrascht: „Nach der Auslieferung der ersten 15 Modell 3 musste nextmove wegen schwerer Qualitäts- und Sicherheitsmängel die Auslieferung weiterer Fahrzeuge stoppen. Nur jedes vierte Fahrzeug war fehlerfrei, in einigen Fällen waren die Fahrzeuge nicht einmal fahrtüchtig.“ Die übliche Vorgehensweise bei Tesla ist nun, alle Mängel bei einem späteren Termin im Servicecenter oder einer zertifizierten Werkstatt zu beheben.
Doch solche Termine können im Moment durchaus in weiter Zukunft liegen. Darüber hinaus gibt es teils sehr lange Lieferfristen für Ersatzteile, sodass ein Fahrzeug wochen- oder sogar monatelang nicht genutzt werden kann. Für eine Autovermietung ist das nicht hinzunehmen, denn in aller Regel laufen Leasingverträge oder Finanzierungen und Kunden müssen vertröstet oder sogar entschädigt werden.
Wie machen das andere OM? Ganz einfach: Sie haben für ihre Geschäftskunden entsprechende B2B-Prozesse, die anders ablaufen als bei Privatkunden. Darüber hinaus ist die für Tesla typische Vorkasse unüblich. Die Autovermietung hat also Tesla vorgeschlagen, einen Sonderprozess zu vereinbaren. Das gelang scheinbar auch bei dem direkten Ansprechpartner, doch bereits am Folgetag wurde die Vereinbarung wieder gekippt und Tesla stornierte den Auftrag. Wer sich für alle Details der Geschichte interessiert, findet sie in diesem und jenem Video in großer Ausführlichkeit oder im nextmove-Blog etwas knapper erzählt.
Tesla muss sich weiterentwickeln
Diese Geschichte und die erste Reaktion von Tesla darauf (Der Kunde ist schuld) zeigen deutlich: Das Unternehmen muss sich dringend weiterentwickeln. Vor allem der CEO hat das nötig, findet das Manager Magazin. Ziert das Titelbild noch Elon Musk in Siegerpose, so geht es im Inneren des Heftes zur Sache: „Elektrovisionär Elon Musk scheitert an den Niederungen des Autogeschäfts.“ Und weiter: „Der Zuwachs der Fahrzeugflotte bringt die Serviceinfrastruktur an den Rand des Zusammenbruchs.“
In seinem typischen, stark personalisierenden Stil bringt das Manager Magazin verschiedene Analysten und Investoren als Kritiker in Stellung. Sie hätten Tesla bislang positiv gesehen und bekämen jetzt langsam Zweifel . Dazu gehört nach Ansicht des Magazins beispielsweise James Anderson vom größten Tesla-Investor Baillie Gifford. Er vermisst Wachstum, kritisiert die schlecht gemachte Kapitalerhöhung im Frühjahr und findet, Musk müsse sich nicht persönlich in jede kleine Entscheidung einmischen.
Wird Elon Musk also zum Problem? Er ist sicher nicht der typische graue Manager, der auf Zahlen achtet und seinen Laden auf Effizienz trimmt. Er ist einerseits ein Visionär, dessen Beharrlichkeit uns nicht nur Elektroautos, sondern auch wiederverwendbare Raketen mit schicken Landeanflügen gebracht hat. Zugleich hat er die Tendenz, seinen Hang zu unkonventionellen Lösungen auf kleinste Bereiche auszudehnen. Immerhin ist es ihm so gelungen, das Auto in Teilen neu zu erfinden.
Tesla darf seine Vergangenheit nicht aufgeben
Doch ständige Innovation ist teuer, kosteneffizienter Automobilbau lebt von langfristig geltenden Standards. Vermutlich muss sich Tesla in genau diese Richtung weiterentwickeln. Ein Spagat: Einerseits sollte das Unternehmen innovativ und visionär bleiben, es darf seine Vergangenheit nicht aufgeben. Doch andererseits muss es im Massenmarkt mit seinen geringen Margen Erfolg haben, um profitabel werden.
Dieser Spagat muss allerdings nicht zwingend von einer Person geleistet werden. Die Entwicklung von Tesla könnte auch bedeuten, dass sich Elon Musk auf die Position eines Chairman zurückzieht, der für Visionen und Innovation verantwortlich ist. Nun kann ein – womöglich aus der Autoindustrie stammender – angestellter CEO unauffällig und geräuschlos, aber profitabel das klein-klein eines OEM abwickeln. Die Frage ist aber, ob Tesla dann immer noch Tesla ist.