Herzlichen Glückwunsch, Herr Möller. Claas ist dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Die übliche Frage an Hundertjährige lautet ja immer: Wie wird man so alt? Also, mit welchem Trick überlebt ein Unternehmen ein ganzes Jahrhundert?
Der Trick sind die ständige Innovation und das „immer in Bewegung bleiben“. Nur innovative, bewegliche Unternehmen bestehen langfristig und bleiben keine kurzlebigen Episoden. Bei Claas sind Innovation und Technologieführerschaft Teil der Strategie. Im Grunde gehört das zu unserer Firmenkultur, die wir sehr intensiv pflegen. Ein rein formelles Innovationsmanagement reicht nicht aus. Wer ein Neuerer sein will, muss hervorragende Mitarbeiter haben, die komplexe Aufgaben bewältigen können.
Die Mitarbeiter sind die wichtigste Voraussetzung für Innovationen?
Ja, wir hören auf die Mitarbeiter. Jeder kann Anregungen und Projektvorschläge abgeben. Jede Idee wird gehört, an allen Standorten. Die Prozesse für die Produktentwicklung sind überall gleich. Ein etabliertes betriebliches Vorschlagwesen stellt sicher, dass viele wertvolle Ideen zusammenkommen. Das sind nicht immer neue Produkte, auch viele Verbesserungen unserer Fahrzeuge stammen aus der Belegschaft, zum Beispiel aus dem Kundendienst.
Sie orientieren sich also auch an den Kunden?
Nicht nur das: Wir hören auf unsere Kunden und kennen ihre Bedürfnisse. Wir laden Kunden zu Hintergrundgesprächen ein, in denen sie auch Kritik üben dürfen. Unsere Entwickler fahren oft zu einzelnen Kunden und schauen sich die Situation vor Ort an. Sämtliche Produktmanager sind ausgebildete Landwirte mit dem notwendigen Wissen. So haben wir zum Beispiel einen Mähdrescher mit einer Straßenzulassung für 40 km/h eingeführt. Das Produkt ist speziell auf Lohnunternehmer zugeschnitten. Die fahren auf dem Weg von einem Kunden zum anderem häufig relativ lange Strecken über die Straße und sparen somit Zeit und Geld.
Mähdrescher sind ja die klassischen Claas-Landmaschinen. Aber Sie haben auch Informationstechnologie im Angebot.
Ja, inzwischen sogar sehr viel. Claas Agrosystems ist in der Claas Gruppe für Precision Agriculture verantwortlich Wir entwickeln zum Beispiel die Telemetriesysteme. Ein großer Trend sind Assistenzsysteme, ähnlich wie bei einem Auto. Dazu gehören in erster Linie Systeme zum so genannten „Precision Farming“. Dabei wird ein Fahrzeug mit Hilfe von GPS auf einige Zentimeter genau gesteuert. Das hört sich im ersten Moment etwas übertrieben an, aber auf eine große Fläche gesehen gibt es eine enorme Leistungssteigerung und Kostensenkung. Das lässt sich am besten in einem Beispiel verdeutlichen. Moderne Mähdrescher haben Schneidbreiten bis 12 Meter. Das bedeutet: Der Fahrer sitzt sechs Meter von den Seiten seines Fahrzeugs entfernt. Das präzise Lenken und gleichzeitige Bedienen der Maschine ist nicht einfach. Damit nichts stehen bleibt, fährt der Fahrer also immer mit ein wenig Versatz. Das können aber schon mal ein halber bis ein Meter sein, also auf ein Dutzend Runden leicht eine volle Fahrzeugbreite. Mit GPS beträgt der Versatz nur ein paar Zentimeter, der Fahrer spart somit Zeit und Kraftstoff.
Das hört sich aber kaum noch nach Ackerbau an. Ist ein Landwirt heute eher Techniker als Bauer?
Er ist ein ausgebildeter Profi in der modernen, von klassischer Landmaschinentechnik und Informationstechnologie unterstützten Landwirtschaft. Der Bauer mit Gummistiefel und Mistforke, der nur mit Schlepper und Hänger auf die Acker fährt – das ist ein reines Medienphänomen. Vor allem Sendungen, die auf dem Land spielen, transportieren oft ein vollkommen veraltetes Bild von der Landwirtschaft. Extrem viele Betriebe nutzen modernste Technik und lassen sich von IT-Managementsystemen unterstützen.
Aber lohnt sich das überhaupt für viele Landwirte? Sind nicht Riesenbetriebe notwendig, um solche Systeme zu nutzen?
Moderne Großmähdrescher oder -traktoren benötigen eine gewisse Mindestfläche. Außerdem sind sie natürlich im Vergleich zu einfacheren Fahrzeugen teurer, aber bei einer großen Fläche lohnt sich das. Entsprechende Agrarbetriebe haben wir in Deutschland eher in den neuen Bundesländern Die Maschinen werden aber auch in Maschinenringen oder von Lohnunternehmern eingesetzt. Dadurch entstehen dann wieder ausreichend große Flächen, die mit einem Großgerät sehr effizient bewirtschaftet werden können.
Wie sieht das in anderen Ländern aus? Sind Ihre Innovationen auch weltweit anerkannt?
Wir sind inzwischen ein globales Unternehmen, aber mit deutschen Wurzeln. Die Claas Gruppe macht in Deutschland nur noch etwa ein Viertel ihres Umsatzes. Diese Internationalisierung ist eigentlich nichts Neues, wir haben uns schon immer stark auf den Export ausgerichtet. Allerdings agieren wir heute anders. Wir gehen als Unternehmen in die Großregionen wie etwa Russland und treten dort als Anbieter in diesem Markt auf. Unsere Produkte unterscheiden sich nach den Zielmärkten, denn jeder Markt ist anders. Ein gutes Beispiel ist Indien. Als wir vor 25 Jahren dort eingestiegen sind, haben wir uns die Situation vor Ort genau angeschaut. Wir haben zum Beispiel bemerkt, dass die Betriebsgrößen relativ klein sind und dort – wenn überhaupt Maschinen eingesetzt werden – Lohnunternehmer die Mähdrescher nutzen. Dabei haben wir recht schnell festgestellt, dass wir keinen geeigneten Mähdrescher im Angebot haben. Also haben wir einen entwickelt. Auf diese Weise kommt ein Unternehmen auch in einen neuen Markt. Erst werden die Grundbedürfnisse der Kunden analysiert, dann wird etwas Spezifisches und Neues gebaut. Anders kommen Sie dort nicht an.
Solche Erfolge wünschen sich viele Unternehmen. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den dauerhaften Erfolg von Claas?
Es gibt zahlreiche Gründe, aber sehr wichtig sind sicher Ausdauer und Schnelligkeit. Das kann im Grunde nur ein inhabergeführtes Unternehmen leisten, das nicht an die Berichtspflichten eines börsennotierten Unternehmens gebunden ist. Den Xerion, ein so genanntes Systemfahrzeug mit Allradlenkung und -antrieb, gleich großen Rädern und drehbarer Kabine, hätte ein solches Unternehmen sicher nicht auf den Markt gebracht. Aber im Unternehmen gab es Helmut Claas, der die nötige Ausdauer hatte und das Projekt zum Erfolg geführt hat.
Ist also eine gewisse Ausdauer das Geheimnis der Innovation?
Nicht nur. Ein Unternehmen braucht viele gute Ideen und Offenheit auch für exotische (unkonventionelle) Vorschläge. Aber gute Ideen alleine reichen nicht. Irgendwann kommt ein Punkt, an dem es schwierig wird bei der Entwicklung eines Produktes. Der kommt oft. Da ist es gut, wenn an entscheidender Stelle Mitarbeiter mit Erfahrung sitzen und die Lösung weiter vorantreiben.
Wie die Namensgeber des Unternehmens?
Ja, zum Beispiel. Familienunternehmen sind in der Regel sehr langfristig orientiert. Es herrscht da eher die Vorstellung, dass der Unternehmenswert auf lange Sicht erhalten bleibt und gesteigert wird. Ein guter Weg dorthin ist Innovation und Wandelbarkeit, um sich rasch ändernden Märkten und Kundenanforderungen anzupassen. Der deutsche Mittelstand ist ein wesentlicher Innovationstreiber in der Wirtschaft und das sind sehr häufig Familienunternehmen wie die Claas Gruppe.
At first glance, the Claas group has little to do with the industries of the future. Most people know the company from agriculture: The paradigmatic Claas combine harvesters are known worldwide. And it is somewhat the counterpart to a VC driven startup eager for an multi million exit. Class is 100 years old, not public but family owned, and residing in the rural lowlands north of the Ruhr Area. But from the beginning Claas was an innovative company – new agricultural machinery, new techniques, new markets. The shareholders have built up an export-oriented, global company, where about 75 percent of revenue is made outside of Germany today. And they take the next step: Claas Agrosystems is developing its own telemetry systems. Similar to cars, assistance systems are a big thing in agriculture. They are primarily meant for precision farming. Here, a vehicle using GPS is accurately controlled to a few centimeters. „Only innovative, moving companies are long term“, says Dr. Jens Möller, CEO of Claas Agrosystems. Family owned, often midsized companies like Claas are a key driver of innovation in german economy. „Leadership in innovation and technology is part of our strategy. Basically, this is our company’s culture and we maintain it very intense.“