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Die zwei Seiten von Blendle

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Seit ein paar Monaten bin ich Blendle-Nutzer. Von der Idee war (und bin) ich total begeistert. Aber inzwischen bin ich zu einem zwiespältigen Urteil gelangt: Das Blendle-Konzept ist super, nur in der Praxis gibt es da einige Probleme. Aber der Reihe nach:

Blendle ein unglaublich toller Service, ein Pressekiosk mit Einzelverkauf der Artikel für vergleichsweise kleines Geld. Die App ist eine Lösung für ein altes Problem, denn wer liest schon eine ganze Zeitung. Auf der anderen Seite hatten viele schon immer den Wunsch, mehrere Tageszeitungen zu lesen, um sich breiter zu informieren.

Das war allerdings in der guten alten Zeit eine teure Angelegenheit. Bei Blendle dagegen werden die Kosten durch den Einzelverkauf überschaubar. Und natürlich hätte man als Abonnent von 3-4 Tageszeitungen auch nicht jeden Tag in jedem Blatt unbedingt etwas Lesenswertes gefunden. Für eilige Überschriften-Überflieger mit Termindruck im Nacken ist so ein Tageszeitungsabo schon ein enormer Luxus.

Blendle ist eine tolle App

Das ist also der große Vorteil von Blendle: Die gesamte Breite der deutschen Tages- und Wochenpresse sowie von immer mehr internationalen Blättern ist verfügbar. Anhand von Überschriften und dem ersten Dutzend Zeilen der Artikel ist im Normalfall recht gut zu entscheiden, ob sich das Lesen und die Ausgabe eines Betrages ab 15 Cent lohnt.

Und wer sich verklickt und den Artikel direkt wieder schließt, muss überhaupt nichts bezahlen. Außerdem gibt es eine sehr angelsächsisch anmutende Geld-zurück-Garantie: Wer den Beitrag wider Erwarten doch nicht gut findet, kann innerhalb von 24 Stunden sein Geld wieder zurückfordern. Das geht ganz einfach mit einem Menübefehl und ohne weitere Begründung.

Diese Möglichkeiten sind sehr praktisch und außerdem ist die Blendle-App auf der Höhe der Zeit: Elegante Gestaltung, gut lesbar dargestellte Artikel und ein responsives Design. Verzögerungen beim Laden der Artikel gibt es eigentlich nicht und auch die sonstigen Funktionen reagieren recht schnell. Das ist allerdings eher ein Randthema, denn es handelt sich in erster Linie um eine Leseapp.

Einen kleines Manko ist das Fehlen der Möglichkeit, die Schriftgröße anzupassen. Außerdem gibt es hin und wieder kleinere Mängel in der Typografie. Das wird allerdings meist an der Datenquelle eines Artikels liegen. Sie kommen wohl im Regelfall direkt aus dem Redaktionssystem und werden offensichtlich hin und wieder beim Konvertieren zerschossen.

Neben dem Lesen ist die Suche nach Artikeln eine fundamentale Funktion. Hier gibt es eigentlich wenig zu meckern. Ergänzend zur handelsüblichen Suche in der gesamten Artikel-Datenbank gibt es auch eine ausgesprochen nützliche Alert-Funktion. Hier können verschiedene Suchbegriffe definiert werden, die ständig aktuell gehalten werden. In einer übersichtlichen Registerleiste stehen alle Alerts bereit und zeigen nach dem Anklicken die gefundenen Artikel.

Ein unerwarteter Mehrwert liegt übrigens in den „ähnlichen Artikeln“, die am Ende jedes Artikels angezeigt werden: Die Funktion deckt Themen-Konjunkturen auf, also eine Situation, in der plötzlich ein Medium über ein bestimmtes Thema berichtet und nun plötzlich alle anderen auf den Zug aufspringen. Wer das Geld investiert und alle Artikel anschaut, kann sich recht gut darüber informieren, welches Medium den Vorreiter macht und welche erst später auf den Zug aufspringen.

So viel zu den zahlreichen, eindeutig positiven Seiten von Blendle. Und jetzt ein paar kritische Anmerkungen. Dabei möchte ich mich nicht mit Krittelei an einzelnen Funktionen aufhalten. Das sind Dinge, die sich sehr leicht ändern lassen und hoffentlich auch schon im Backlog der Entwickler zu finden sind – etwa die fehlenden Inhaltsverzeichnisse. Unverständlich, dass es nicht möglich ist, sich ohne lästiges Durchscrollen ganzer Ausgaben über den Inhalt zu informieren.

Deutsche Verlage verstehen Blendle nicht

Ein Problem, für das Blendle vermutlich ebenfalls nicht besonders viel kann, sind die Preise. In anderen Ländern, etwa in niederländischen oder englischen Medien, liegen die Durchschnittspreise für einen einzelnen Artikel zwischen 15 und 29 Cent. Die deutschen Preise dagegen liegen im Regelfall deutlich höher, oft bis 79 Cent. Einige Magazine verlangen pro Artikel sogar noch deutlich mehr.Sobald man beim Stöbern mehr als zwei interessante Artikel findet, macht es Sinn, die Gesamtausgabe zu kaufen. Glücklicherweise werden die in einer Ausgabe gekauften Artikel darauf angerechnet. Anders dagegen Zeitungen in den stärker digitalisierten (weil gesellschaftlich moderneren und liberaleren) Niederlanden, zum Beispiel das traditionsreiche NRC Handelsblad. Hier kosten sogar doppelseitige Artikel nur 29 Cent.

Die deutschen Preise sind für die Kalkulation eines persönlichen Etats bei Blendle eher schlecht. Ein (vereinfachtes) Rechenbeispiel: Eine Publikation kostet 1,80 Euro pro Ausgabe. Zu niederländischen Preisen lassen sich also 5 bis 12 Artikel lesen – je nach Einzelpreis. Bei zahlreichen deutschen Publikationen sind die Preise 45 oder 79 Cent, also sind nur zwei bis maximal vier Artikel drin, bevor die gesamte Ausgabe günstiger kommt.

Wer also beispielsweise zwanzig Euro im Monat bei Blendle ausgeben möchte, bekommt als Niederländer also mindestens doppelt so viele und häufig sogar dreimal so viele Artikel wie in Deutschland – klingt nach dem besseren Deal. Und das war sicher einer der Gründe für den Erfolg von Blendle in unserem digital aufgeschlossenem Nachbarland.

Ein zweites Problem: Viele Artikel, die anfangs noch hinter einer Bezahlschranke verborgen sind, tauchen nach einiger Zeit im frei zugänglichen Web auf. Bei Blendle müssen sie dann trotzdem noch bezahlt werden. Immerhin gibt es eine Möglichkeit, sein Abo in Blendle anzumelden und dadurch die Kosten für die entsprechenden Artikel zu sparen. Leider nutzen aber noch lange nicht alle deutschen Verlage diese Möglichkeit, hier wäre ein wenig mehr Engagement vonnöten.

Außerdem hat Blendle die Inhalte der deutschen Medien in der Regel nur für 30 Tage zur Verfügung, anschließend werden die Artikel zwar noch gefunden, können aber nicht mehr gekauft werden. Auch hier agieren die Niederländer digitaler: Auch Monate alte Artikel werden im Normalfall angezeigt und kosten bei einigen Medien nur noch einen Cent.

Einzelverkauf wird nicht ernst genommen

Dass in Deutschland ein einzelner Artikel teils halb so viel wie das ganze Nachrichtenmagazin kostet, zeigt deutlich die Mentalität der deutschen Pressehäuser: Sie denken immer noch in gebündelten Einheiten. Der Einzelverkauf wird nicht recht ernst genommen und ein möglicher Long-Tail-Boom durch hohe Preise und kurze Speicherfristen erstickt.

Die Frage ist, ob dies zu einer dauerhaften Bindung an Blendle führt. Gut möglich, dass sich viele Leute verschaukelt fühlen und der App dann langfristig den Rücken kehren. Das wäre schade, denn das Grundkonzept ist 100% richtig und hätte bereits vor Jahren eingeführt werden müssen: Einzelverkauf von Artikeln aller wichtigen Medien auf einer komfortablen Plattform.

Doch die vielen Umstände, die das Lesen der deutschen Medien mit Blendle bereitet, scheint darauf hinzudeuten, dass die Digitalisierung immer noch äußerst halbherzig vorangetrieben wird. Ob das reicht, um die nächsten 10-15 Jahre zu überstehen?

 

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Graphen: Das Milliarden-Euro-Zaubermittel

Kohlenstoff: Aus ihm sind die Zukunftsträume © Kumbabali - Fotolia.com
Kohlenstoff: Aus ihm sind die Zukunftsträume © Kumbabali – Fotolia.com

„Wunderwerkstoff Graphen“, „Härter als Diamant und stärker als Stahl“, „Dieses Material bedeutet die Zukunft“, „Graphen: Apples neuer Hightech-Werkstoff?“ Ein paar Überschriften der letzten Zeit aus Technikmedien. Sie haben damit offensichtlich den Stein der Weisen gefunden, der alle Probleme löst.

Der Grund für die hohe Aufmerksamkeit ist die ungewöhnliche zweidimensionale Wabenstruktur. Dabei ist Graphen chemisch gar nicht so besonders. Es basiert auf Graphit, einem kristallinen Kohlenstoff, der sich auch in Bleistiftminen findet. Der besitzt wie jedes andere Kristall eine dreidimensionale Struktur.

Graphen dagegen ist nur eine Atomlage dick – also extrem dünn. Der Trick: Die ultradünne Schicht wird wie eine Folie von Graphit abgenommen. In der Anfangszeit der Erforschung wurde der Stoff tatsächlich mittels Klebeband von einem Graphitblock abgezogen, heute wird er meist durch eine chemische Reaktion auf einem Trägerstoff abgeschieden.

Beide Verfahren erzeugen ein flaches Etwas, das eine mit herkömmlichen Techniken nicht mehr messbare Dicke besitzt. Es ist in einem praktischen Sinne zweidimensional, was nicht nur Laien überrascht. Denn das Verblüffende an einer 2D-Struktur wie Graphen ist seine Existenz.

Zweidimensionale Strukturen

Bis vor gut zehn Jahren galt: Solche Dinge sind stabil und zerfallen wieder, da sich bei einem Atom Dicke keine Kristalle bilden können und die Bindekraft der Einzelatome nachlässt. 2004 stellten die Nobelpreisträger (2010) André Geim und Konstantin Novoselov an der Universität Manchester fest: Graphen hält sich nicht an die Theorie und bleibt stabil.

Die zweidimensionale Wabenstruktur von Graphen © ogwen – Fotolia.com

Wegen seiner Leitfähigkeit und Flexibilität sorgt Graphen in Forschung und Industrie für großes Aufsehen. Laut zahlreichen Medienberichten soll es sich für ziemlich viel eignen: Mikrochips, flexible Touchscreens, durchsichtige Solarzellen auf Fenstern, federleichter Nässeschutz für Fasern und vieles mehr. Ein Zaubermaterial halt.

„Also, für Logikschaltungen in Mikrochips eignet sich Graphen schon mal nicht“, erdet Prof. Dr.-Ing. Max Lemme die Diskussion. Er leitet den Lehrstuhl für Graphen-basierte Nanotechnologie an der Universität Siegen und erklärt: „Es ist kein Halbleiter, weshalb die aktuelle Forschung wieder von dieser Anwendung abgerückt ist.“

Er ergänzt: „Da eignen sich andere Stoffe viel besser, zum Beispiel Molybdändisulfid.“ Das ist eigentlich ein trockenes Schmiermittel mit einer Graphit-ähnlichen Konsistenz. Es ist in der Autoindustrie schon lange bekannt, als Hauptbestandteil eines viel genutzten Motoröl-Additivs.

Die Forschung kennt inzwischen etwa 500 verschiedene Stoffe, die ähnliche Eigenschaften wie Graphen oder Molybdändisulfid haben. In den Medien ist aber vorwiegend von dem zweidimensionalen Kohlenstoff die Rede die Rede. Es besitzt eine Reihe von interessanten Eigenschaften – ein großes Potential.

Für eine fast nicht vorhandene Atomlage ist das Material ziemlich fest. Es ist biegsam, undurchlässig für Flüssigkeiten und Gase, härter als Diamant und sogar 125mal zugfester als Stahl. „Natürlich immer bezogen auf die Dicke der Graphenschicht“, zerstört Max Lemme direkt die sich aufdrängende Vorstellung von Alien-Technologie aus der Festung der Einsamkeit. „Graphen ist wie jede Struktur dieser Art eigentlich sogar sehr zerbrechlich.“

Flexible Smartphones

Einfach Graphen anfassen und schauen, ob es wirklich so durchsichtig wie Glas ist – das geht nicht. Entsprechend arbeitet Lemme in seinem Siegener Labor nicht mit der Hand und Graphen-Blättern oder wie auch immer sich der Alltagsverstand den Umgang mit diesem Material vorstellt.

Er nutzt runde Scheiben („Wafer“) aus Silizium, wie in der Halbleiterindustrie üblich. Auf ihnen befindet sich eine Schicht reines Graphen. Lemme geht wie jeder Forscher vor: Er experimentiert, misst, probiert allerlei Varianten aus und ermittelt, wie Graphen auf Elektrizität reagiert oder mit anderen Werkstoffen zusammenarbeitet.

So könnte ein flexibles Smartphone mit Graphen-beschichtetem Display aussehen © bonninturina - Fotolia.com
So könnte ein flexibles Smartphone mit Graphen-beschichtetem Display aussehen © bonninturina – Fotolia.com

Ein möglicher Anwendungsbereich sind Touchscreens von Mobilgeräten. Science-Fiction-Fans kennen das aus dutzenden Filmen: Ein eher schmales Mobiltelefon, aus dem am Rand ein flexibles und recht großes Touchscreen-Display herausgezogen wird. Vorher war es aufgerollt im Inneren des Gerätes.

Mit Graphen rückt ein solches Gerät in greifbare Nähe. Die Schicht des Materials arbeitet als ultraleichte „Touch-Folie“ und könnte zusammen mit einem biegsamen Display zu einer Art aufrollbarem Smartphone werden. Auch für Displays kann Graphen nützlich sein, denn damit sind sehr große, aber trotzdem leichte Touchscreens im Leinwandformat möglich.

Eine andere Idee, der Lemme und seine Kollegen aus der Graphen-Forschung nachgehen: Graphen könnte in Kombination mit herkömmlichen Silizium-Schaltkreisen zu einer erweiterten Funktionalität führen. So ist es denkbar, Computerchips mit Graphen-Sensoren auszustatten oder kostengünstig um „Wireless“-Fähigkeiten zu erweitern.

Ebenso könnte Graphen mit Hilfe eines Druckers auf einem Trägerstoff ausgegeben werden, so dass zum Beispiel die leitfähigen Schichten für Schaltkreise damit ausgedruckt werden können. Welche dieser und einer ganzen Reihe anderer Anwendungen sich letztendlich in der Praxis durchsetzen wird, ist noch offen. Aber es wird viel geforscht, auf der ganzen Welt, an Universitäten und in Unternehmen.

So ist beispielsweise auch Samsung sehr aktiv in der Graphen-Forschung. Und die Europäische Kommission hat kürzlich ein riesiges Verbundprojekt aufgelegt, bei dem in den nächsten Jahren eine gute Milliarde Euro für die Forschung an und mit Graphen ausgegeben wird.

Profitabler Anlagenmarkt

„Die anwendungsorientierte Forschung zu Graphen erfordert noch viel Arbeit“, meint Lemme mit Blick auf seine Kooperation mit Infineon und anderen Unternehmen. Es sei denkbar, dass von den vielen Möglichkeiten letztlich nur wenige übrig bleiben. Lemme ist die Medienpräsenz des Stoffes etwas unheimlich, denn sie weckt Erwartungen, die der Realität vielleicht nicht standhalten – diese Möglichkeit gibt es in der Wissenschaft immer.

Zugespitzt ausgedrückt: Graphen kann ähnlich wie die Kohlenstoffnanoröhre vom umjubelten heiligen Gral der Materialforschung zur Randexistenz abstürzen. Der Hype um Graphen ist zwar gigantisch, doch dahinter verbirgt sich bereits jetzt ein Markt, allerdings ein winziger.

Eine Anlage für die Graphen-Herstellung © AIXTRON
Eine Anlage für die Graphen-Herstellung © AIXTRON

„Unsere Anlagenverkäufe sind zuletzt deutlich gestiegen und haben sich zu einem profitablen Geschäft entwickelt“, sagt Prof. Dr. Michael Heuken, Leiter der Forschungsabteilung von AIXTRON, einem weltweit führenden Anbieter von Beschichtungsanlagen für die Halbleiterindustrie. Das Unternehmen aus Herzogenrath bei Aachen ist einer der wenigen Lieferanten von Industrie- und Forschungsanlagen, die Graphen-Wafer in größeren Mengen produzieren können.

„Als Anlagenhersteller profitieren wir von so einer Entwicklung natürlich in einem sehr frühen Stadium“, sagt Heuken und schränkt ein: „Allerdings entspricht das derzeit noch einem sehr kleinen Teil unseres Gesamtumsatzes.“ Eines ist jedoch sicher: Wenn sich der Markt so entwickelt, wie das die Teilnehmer am EU-Projekt und alle anderen Graphen-Fans sich vorstellen, spielen die Maschinenbauer aus dem Rheinland in vorderster Linie mit.

Zur Zeit handelt es sich für das mittelständische Unternehmen um eine Wette auf die Zukunft: Es baut einerseits Knowhow in einer möglichen Erfolgsbranche auf. Andererseits bildet es einen kleinen Kundenstamm in Universitäten und Forschungsabteilungen. Der kann sich aber jederzeit erweitern. Wenn Graphen ein Hit wird, landen viele Mitarbeiter aus der Forschung als Manager in der produzierenden Industrie und bestellen vielleicht lieber in Herzogenrath als anderswo.

Graphen mag ein Wundermaterial sein, doch das ist erst der Anfang. Wird es ein Erfolg? Und wenn ja, in welchem Einsatzgebiet? Das EU-Projekt begeht nicht den Fehler, sich auf einen einzelnen Bereich zu stürzen. So relativiert sich dann auch die gigantisch wirkende Milliarde, die über 10 Jahre hinweg an 75 Forschergruppen in 17 EU-Ländern verteilt wird.

Konzerne wie Samsung dagegen forschen deutlich enger gefasst an ganz bestimmten Anwendungen. Der koreanische Elektronikriese setzt auf Graphen, da es eine Lösung für biegsame Smartphones ist. Ein Erfolg würde seine Position im Smartphone-Markt auf Jahre hinaus zementieren.

Auch hier wieder die bei innovativen Unternehmen typische Wette auf die Zukunft. Entscheidend für die europäische Wirtschaft ist, rasch Top-Anwendungen von den Flops zu trennen und dann zu verhindern, dass die entsprechenden Produkte für Endanwender woanders hergestellt werden.

Bilder: © Kumbabali – Fotolia.com, © ogwen – Fotolia.com, © bonninturina – Fotolia.com, © AIXTRON

Ausbilden: Der Trick gegen Fachkräftemangel

Fotolia_61132937_XS„In der IT-Branche gibt es im Moment einen ausgesprochen lebendigen Bewerbermarkt“, sagt Catharine Hack, Personalreferentin bei der Pironet NDH AG. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Cloud Computing für mittelständische Kunden. Es bildet regelmäßig Fachinformatiker und andere IT-Spezialisten aus.

Eine Bewerbung für eine Ausbildung bei dem Unternehmen kann also für talentierte Leute mit technischem Verständnis und IT-Affinität leicht zum Erfolg führen. Umgekehrt sollte es für Pironet NDH kein Problem sein, auch die richtigen Bewerber zu finden. Catharine Hack bestätigt das: „Wir finden immer wieder ganz hervorragende Bewerber. Bei vielen wissen wir im Grunde schon von Anfang an, dass sie die Ausbildung mit Erfolg abschließen.“

Superjugendliche gesucht?

Dann folgt das große Aber: „Ein großer Teil der Bewerbungen sehen eher nach dem Gegenteil aus.“ Die Personalreferentin berichtet von E-Mails ohne jeden Text, die lediglich im Anhang einen Lebenslauf enthalten, Anschreiben mit zahlreichen Rechtschreibfehlern und Serienbriefe an ein paar Dutzend Unternehmen im CC-Feld. Und dann gibt es Bewerbungen, die deutlich machen, dass die Bewerber überhaupt nicht wissen, für welchen Beruf sie sich bewerben.

Die Liste dieser Fehler ließe sich noch lange fortsetzen. Dies ist eigentlich erstaunlich, denn allein eine Google-Suche nach den beiden Stichworten „Bewerber Ratgeber“ gibt mehr als genug Hinweise für den richtigen Aufbau einer Bewerbung, das Verhalten im Vorstellungsgespräch und vieles mehr. Es ist schwer, hier noch etwas falsch zu machen. Warum landen trotzdem so viele Kuriosa bei den Personalern?

© Syda Productions - Fotolia.com„Unserer Erfahrung nach hat das etwas mit persönlicher Reife zu tun“, meint Hack. Eine eher unreife Haltung zeige sich dann auch in den Bewerbungsgesprächen und reiche bis in die Ausbildung. Pironet NDH ist ein mittelgroßes Unternehmen, das nach eigener Auskunft sehr gerne ausbildet und sich intensiv um die Azubis kümmert, aber dafür auch etwas erwartet. Etwa den bereits makel- und tadellosen Superjugendlichen?

„Wir erwarten junge Leute, die Interesse am Beruf und an Weiterbildung mitbringen“, sagt Hack. „Wir beißen uns hier die Zähne aus, wenn wir Erziehungsmängel beseitigen müssen.“ Talent, Reife, Interesse, Weiterbildung – gefragt sind junge Erwachsene, die Fragen stellen, Eigeninitiative zeigen und mitdenken.

Doch die Zeiten in denen Auszubildende hier mal schauen und da mal anpacken dürfen, sind schon lange vorbei. „Von Auszubildenden wird heute wesentlich mehr verlangt als das früher der Fall war“, bestätigt Marko Kämmerer, Personalleiter beim Enterprise-Mobility-Spezialisten Seven Principles (7P) mit Sitz in Köln. Diese Entwicklung sei auch in der IT-Branche zu bemerken.

Offene, wenig hierarchische Unternehmenskultur

Vor allem in den letzten zehn Jahren seien in vielen Unternehmen schnellere, dynamischere Strukturen entstanden. „Das scheint die Schulen zu überfordern, Schüler werden nicht entsprechend auf diese Dynamik vorbereitet“, kritisiert Kämmerer. „Aber trotzdem sind die Bewerber deutlich besser als ihr Ruf.“

Zusammen mit den Anforderungen haben sich nach Kämmerers Erfahrung aber auch die Wünsche junger Leute an eine Ausbildung geändert. „Vor allem mittelständische Unternehmen müssen sich attraktiv präsentieren und eine offene, wenig hierarchische Unternehmenskultur bieten.“

© Marco2811 - Fotolia.comHeute sind allen Mitarbeitern – Akademikern, aber auch den Mitarbeitern in Ausbildungsberufen – Gestaltungsspielräume und Freiheitsgrade wichtig. „Das erfordert auch eine gewisse Flexibilität beim Unternehmen selbst. Wer sich öffnet, bekommt auch hervorragende Mitarbeiter.“

Die Erfahrungen von Marko Kämmerer sind mit denen von Catharine Hack zu vergleichen: Es gebe einige Bewerbungen, die dem Qualitätsanspruch von 7P nicht entsprechen, trotzdem leidet das Unternehmen nicht an Azubi-Mangel. Es bildet ebenfalls regelmäßig aus und greift dabei nicht nur auf Abiturienten zurück.

„Gymnasiasten haben einen kleinen Vorteil in Sachen persönlicher Reife, aber wir bilden auch regelmäßig Realschüler zum Fachinformatiker aus“, sagt Kämmerer. „Das Abitur ist nicht immer nötig und ein Uniabschluss auch nicht. Wir stellen zwar viele Akademiker ein, haben aber auch zahlreiche Arbeitsplätze für Facharbeiter und Nicht-Akademiker.“

Die wichtigste Quelle für Bewerber ist die Präsenz in Schulen oder Ausbildungsmessen. Die beiden IT-Dienstleister sind weder bei Lehrern noch bei Jugendlichen besonders bekannt. Das ist bei vielen mittelständischen Unternehmen so, die meisten Leute kennen bestenfalls ein Dutzend deutsche Unternehmen.

Mittel gegen den Fachkräftemangel

Doch das Ziel der Zusammenarbeit mit Schulen ist nicht, möglichst viele Bewerber zu bekommen. Beide Unternehmen setzen auf zielgerichtete Rekrutierung, auf persönliche Kontakte und auf Empfehlungen. Pironet NDH ruft die Lehrer dazu auf, talentierte Jugendliche für ein Praktikum zu nennen. 7P trifft viele Azubis über Kontakte auf Ausbildungsmessen, nutzt aber auch Stellenanzeigen in lokalen und überregionalen Portalen.

Die Ausbildung selbst ist in beiden Firmen ähnlich organisiert: Die Azubis werden möglichst rasch in Kundenprojekte einbezogen und lernen viele Arbeitsgebiete des Unternehmens kennen. Außerdem orientiert sich die Ausbildung möglichst stark an den Interessen der einzelnen Mitarbeiter.

© DOC RABE Media - Fotolia.comIn den Unternehmen werden Auszubildende intensiv betreut und möglichst optimal gefördert. Die Geschäftsführung hat sie als enorm wichtig für die Unternehmenszukunft erkannt. Beide Unternehmen betonen: Im Normalfall werden viele Azubis übernommen und anschließend mit Angeboten für die Weiterbildung und verschiedenen Karriereoptionen unterstützt.

Vorausschauende Unternehmen haben (hoffentlich) längst erkannt, dass nur eine gute Strategie zur Personalentwicklung hilft, den so genannten „Fachkräftemangel“ zu vermeiden. Er besteht nämlich weniger in einem Mangel an guten Leuten, sondern oft in einer zu geringen Sichtbarkeit der Unternehmen.

Das Rheinland ist Heimat zahlreicher großer IT-Unternehmen wie Deutsche Telekom, Vodafone, T-Systems, Computacenter, Bayer BBS und viele mehr. Sie besitzen eine enorme Zugkraft und können sich die Rosinen herauspicken, da Ausbildungen bei den IT-Riesen ein sehr gutes Image haben.

Kleinere und mittlere Unternehmen wie Pironet NDH oder Seven Principles müssen sich dagegen bei den Schülern als guter, moderner und erfolgreicher Arbeitgeber präsentieren. „Employer Branding“ heißt das heutzutage. Die Erfahrungen der Unternehmen zeigen, dass auch das Angebot einer guten Ausbildung dazugehört.

Bilder: © Butch – Fotolia.com, © Syda Productions – Fotolia.com, © Marco2811 – Fotolia.com, © DOC RABE Media – Fotolia.com

Glücklich werden. Eine Bildungsgeschichte

CelineCéline Keller, Illustratorin und Motiondesignerin, vor langer Zeit DJ in einem Club in Köln. Sie spielte Indie und Singer/Songwriter-Platten. Eines Tages sprach ich sie wegen ihrer Musik einfach an. Wir trafen uns ein paar Mal, rauchten, tranken, redeten, schrieben Musiktipps auf Bierdeckel. Dann verschwand sie plötzlich aus der Stadt und ein paar Jahre später entdeckte ich sie im Internet.

Du lernst. Und zwar gerne und aus Interesse. Und noch dazu mit einem breiten Spektrum an Themen. Das ist mir aufgefallen, seit ich Dir auf Google+ und Twitter folge. 

Ich interessiere mich für viele Dinge. Lernen ist nicht nur eine unglaublich spannende Beschäftigung, sondern es liegt mir auch grundsätzlich sehr am Herzen. Ich möchte gerne etwas Neues erfahren und folge meinem Wunsch, immer wieder etwas zu lernen. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass wir Probleme nur durch gemeinsames Lernen lösen können.

War das schon immer so bei Dir?

Nein, ich habe früher viele schlechte Erfahrungen gemacht. Ich habe die Schule gehasst und empfand sie als Gefängnis. Nur weil ich alle paar Jahre von einer zur anderen gewechselt bin, habe ich es trotz aller Frustration und Langeweile irgendwie bis zum Abitur ausgehalten. Wenn Jugendliche Freiheit haben, sind sie voller Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit. Stattdessen war ich unglücklich – am allermeisten, wenn ich in der Schule sitzen musste.

Wie lange hat der Frust gedauert?

Der Frust war nach der Schule vorbei, aber die Freude am Lernen habe ich erst mit Mitte Zwanzig entdeckt. Davor stolperte ich ziemlich verloren durch die Gegend und wusste vor allem eines: Was ich nicht machen will. Ich finde es tragisch, das so viele Menschen aus der Schule kommen und anscheinend nur gelernt haben, was sie angeblich nicht können. Ihnen bleibt statt Kreativität und Neugier nur Angst, etwas falsch zu machen. Deshalb fangen sie auch oft nichts Neues und Eigenes an.

Aber Du hast etwas gemacht, nämlich Comics gezeichnet.

AlmutUndJuryJa, doch nach der negativen Erfahrung in der Schule hatte ich das Bedürfnis, mich gegen Kritik zu schützen und habe alles schön für mich behalten. Kaum jemand hat meine Sachen gesehen. Aber ein paar Freunde (Ursula und Georg vom www.raumfuerprojektion.de) fanden die Sachen gut und haben mich herausgefordert. Ich sollte innerhalb von sechs Wochen einen Animationsfilm zu machen. Das war eine verrückte Idee, aber für mich war das der Wendepunkt. Ich habe mich zuhause eingeschlossen und losgelegt. Ich habe mir die Bedienung der Animationssoftware mit einem Buch selbst beigebracht. In der Zeit habe selten so viel geflucht und gleichzeitig so viel Spaß gehabt.

Was war anders als in der Schule?

Die beiden haben an mich geglaubt. Ich denke, jeder braucht das Gefühl, dass jemand an ihn glaubt. Ich selbst war immer von meinen Comics überzeugt, aber das reichte nicht aus um alleine loszulegen. Danach ging es dann langsam, aber sicher bergauf – vor allem, als ich das Internet für mich entdeckte.

Wie hat Dir das Internet beim Lernen geholfen?

Ich war ein paar Jahre in Argentinien und habe dort gesehen, dass man das Internet auch zu etwas anderem als Mail und Shopping benutzen kann. Eines Nachts saß ich vor dem Computer und landete durch Zufall auf einer Gospel Piano-Webseite mit einem kostenlosen Online-Kurs. Dort wurde das Nashville Number System erklärt. Doch vor allem habe ich dort gelernt, dass Musik nicht dieses mythische Ding ist, das man nur als Kind lernen kann. Und nur dann, wenn man irre viel Talent hat. Am nächsten Tag habe ich mir ein Keyboard geliehen und Musik gemacht. cubos

Selber machen ist auf jeden Fall dein Ding. Du beschäftigst Dich autodidaktisch mit ganz unterschiedlichen Themen. Das wirkt wie ein sehr eigener und eigenständiger Lernstil, eher von Neugier getrieben als von irgendeiner Art von Ehrgeiz.

Das stimmt, ich habe meinen eigenen Weg zum Lernen gefunden. Ich habe oft gehört: Konzentriere Dich auf eine Sache, sonst bist Du nicht erfolgreich. Aber so funktioniere ich nicht, ich bin anders. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich da nicht alleine bin. Es ist vielleicht eine Binsenweisheit, aber beim Lernen kann ich sie unterschreiben: Der Weg ist das Ziel. Natürlich brauche ich ein Ziel, aber der Weg dahin ist ebenfalls wichtig. Vor allem die Schritte auf diesem Weg sind entscheidend. Für mich ist Lernen aktiv. Deshalb kann ich auch nichts mit der klassischen Art des Unterrichtens anfangen.

Du meinst das eher passive Konsumieren von „Stoff“ in der Schule. Wie organisierst Du Dich selbst?

Mein größter Feind beim Lernen ist die Langeweile. In Grenzen ist das natürlich ganz normal. Der Trick ist einfach, an mehreren Sachen gleichzeitig zu arbeiten. Wenn mich eine Übung zu sehr frustriert, arbeite ich eine Weile an einem anderen Problem Und Lernen ist natürlich manchmal auch anstrengend. Und man macht Fehler. Es ist wichtig, sich nicht von Fehlern frustrieren zu lassen. Ich würde sagen: Mach einfach eine Pause, mach etwas anderes, aber komm immer wieder zurück und spiel mit den Fehlern, ohne Druck von außen. RatonPerezDas wichtigste für mich ist, nicht aufzugeben und einfach weiter zu machen, selbst wenn ich etwas nicht verstehe. Mit der Zeit erschließt sich dann das Problem von ganz allein. Das sind magische, wunderbare Momente. Und sie kommen immer. Wirklich.

Und das alles ohne Lehrer, der vor Dir sitzt und Dir etwas beibringt.

Ich habe unzählige Lehrern und Lehrerinnen. Ich finde sie überall im Netz. Im Internet gib es eine Unmenge an wunderbaren Menschen, die ihr Wissen gerne und umsonst mit anderen teilen. Youtube ist toll und ich höre eine Menge Podcasts. Twitter ist auch eine Goldgrube. Das Internet ist außerdem voll von interessanten Vorträgen zu allen möglichen Themen. Ein gutes Beispiel sind die TED/TEDx- und re:publica-Vorträge auf Youtube. Viele Leute verstehen einen ganz wichtigen Punkt nicht: Was man aus dem Internet herausholen kann, hat damit zu tun, wem man „folgt“. Folgt man interessanten Leuten, werden einem ganz von selbst neue und interessante Themen serviert. Oft ergeben sich darüber viele neue Möglichkeiten – auch beruflich. Dieses Jahr habe ich mit Partnerin Paula Spagnoletti für TED-ed einen Animationsfilm über Mikroben gemacht und im Moment arbeiten wir für die nächste re:publica.

Das klingt sehr weit entfernt von Deinem Teenager-Ich, das Lernen hasst. 

Ja, unbedingt. Heute ist mir klar, Lernen macht Spaß. Es eröffnet einem irrsinnig viele Möglichkeiten und gibt mir persönlich sehr viel Energie. Lernen macht glücklich – zumindest empfinde ich das so. Es gibt dazu ein sehr schönes Zitat aus T.H Whites „The Once and Future King“. Es bringt Sache für mich auf den Punkt:The best thing for being sad is to learn something.” microbes

Und bei all dem hilft Dir das Internet. Selber Lernen im  Netz –  das ist ein sehr modernes Modell.

Das Internet ist eine wirklich gute Möglichkeit, sich Zugang zu Wissen zu verschaffen. Ich habe dort die Freiheit, in genau die Richtung zu gehen, die meinem Interesse entspricht. Ich kann damit Probleme lösen, Zusammenhänge erkennen und Beziehungen entdecken. Das geht alles nur, weil das Internet offen ist. Offenheit des Wissens und Freiheit des Lernens, das hängt für mich zusammen.

Das ist ein Plädoyer gegen kommerzielle Wissensanbieter. 

Mir sind offene Lernwege sehr wichtig. Ich bin auch von MOOCs begeistert, wie sie zum Beispiel kostenlos auf Coursera angeboten werden. Mein erster Kurs war im Sommer 2012 „Science Fiction, Fantasy, and the Human Mind“. Die Lectures waren klassische Talking-Head-Videos. Dagegen habe ich nichts. Auch die Bücher, die wir gelesen haben, waren toll. Aber es gab einige Dinge, die mich gestört haben. Das Nervigste daran war das Peer Grading.

Dabei bewerten die Lernenden ihre Arbeiten untereinander.

Das war ziemlich furchtbar und sehr viele Menschen haben den Kurs deshalb schnell verlassen. Es gab viele Trolle, die extrem bewertet haben. Dieser Ansatz ist meiner Meinung nach grundsätzlich ungeeignet. Es dürfte keine Noten geben, die Peer Reviewer hätten besser einen Kommentar schreiben sollen, um darin ihre Meinung begründen. Es ist unglaublich frustrierend, begründungslos bewertet zu werden.

Das ist dann eher wie Schule, mit Noten als Urteil. republica

Noten gehören abgeschafft. Stattdessen sollten Anstrengung, Ideen und neue Perspektiven zum Maßstab werden. Es wäre wichtig, Kinder zu ermuntern, eigenständig zu denken. Sie sollten eigene Meinungen und Ideen verfolgen dürfen, auch wenn sie sich am Ende manchmal als falsch rausstellen. Und die Schule sollte Kindern beibringen, dass Fehler etwas Gutes sind. Wer etwas falsch macht hat und daraus lernt, hat ein ganz besonderes Wissen. Oft kann er dann seine Erkenntnisse anderen Leuten viel besser erklären.

Gibt es auch MOOCs, die in die von Dir gewünschte Richtung gehen?

Das Gegenbeispiel war „E-Learning und Digital Cultures“. Das war wirklich klasse und hat sehr viel Spaß gemacht. Und es gab keine Noten. Stattdessen  unglaublich viel Kreativität, Ideen und Austausch – also echtes Lernen. Ganz von selbst entstand eine Art Gruppendynamik, bei der sich die Leute gegenseitig unterstützt und motiviert haben. Außerdem war dies der bisher einzige Coursera-MOOC, bei dem das Forum auch nach dem Ende des Kurses zugänglich blieb. Bei allen anderen Kursen hat Coursera die ganze Arbeit und alle Informationen förmlich in die Tonne getreten. Die Begründung war auf Nachfrage „Dann kann ja jeder abschreiben“.

Abschreiben – das ist mal wieder ein Begriff aus der Schule.

Ja, das ist ein Ansatz, den ich als veraltet und respektlos gegenüber den Lernern empfinde. Es ist die alte Idee, dass Wissen von außen in die Köpfe kommt und sich nicht entwickelt. Es gibt keinen Grund, etwas Vorhandenes nicht zu lesen und zu benutzen. Es ist wichtiger, daraus etwas Neues zu machen. Das ist für mich das Ziel des Lernens: Etwas Neues machen. Und das dann im Internet mit anderen Menschen teilen.

Bilder: nenatv, privat

Claas: 100 Jahre Wandelbarkeit

„Nur innovative, bewegliche Unternehmen bestehen langfristig und bleiben keine kurzlebigen Episoden“, meint Dr. Jens Möller, Geschäftsführer von Claas Agrosystems. Dieses Jahr wird die Class-Gruppe 100 Jahre alt. Doch im Interview mit „Digital Heartland“ geht es nicht um alte Geschichten, sondern um Lektionen aus der Geschichte für die Zukunft.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Möller. Claas ist dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Die übliche Frage an Hundertjährige lautet ja immer: Wie wird man so alt? Also, mit welchem Trick überlebt ein Unternehmen ein ganzes Jahrhundert?

Der Trick sind die ständige Innovation und das „immer in Bewegung bleiben“. Nur innovative, bewegliche Unternehmen bestehen langfristig und bleiben keine kurzlebigen Episoden. Bei Claas sind Innovation und Technologieführerschaft Teil der Strategie. Im Grunde gehört das zu unserer Firmenkultur, die wir sehr intensiv pflegen. Ein rein formelles Innovationsmanagement reicht nicht aus. Wer ein Neuerer sein will, muss hervorragende Mitarbeiter haben, die komplexe Aufgaben bewältigen können. class-maehdrescher

Die Mitarbeiter sind die wichtigste Voraussetzung für Innovationen?

Ja, wir hören auf die Mitarbeiter. Jeder kann Anregungen und Projektvorschläge abgeben. Jede Idee wird gehört, an allen Standorten. Die Prozesse für die Produktentwicklung sind überall gleich. Ein etabliertes betriebliches Vorschlagwesen stellt sicher, dass viele wertvolle Ideen zusammenkommen. Das sind nicht immer neue Produkte, auch viele Verbesserungen unserer Fahrzeuge stammen aus der Belegschaft, zum Beispiel aus dem Kundendienst.

Sie orientieren sich also auch an den Kunden?

Nicht nur das: Wir hören auf unsere Kunden und kennen ihre Bedürfnisse. Wir laden Kunden zu Hintergrundgesprächen ein, in denen sie auch Kritik üben dürfen. Unsere Entwickler fahren oft zu einzelnen Kunden und schauen sich die Situation vor Ort an. Sämtliche Produktmanager sind ausgebildete Landwirte mit dem notwendigen Wissen. So haben wir zum Beispiel einen Mähdrescher mit einer Straßenzulassung für 40 km/h eingeführt. Das Produkt ist speziell auf Lohnunternehmer zugeschnitten. Die fahren auf dem Weg von einem Kunden zum anderem häufig relativ lange Strecken über die Straße und sparen somit Zeit und Geld.

Mähdrescher sind ja die klassischen Claas-Landmaschinen. Aber Sie haben auch Informationstechnologie im Angebot.

Ja, inzwischen sogar sehr viel. Claas Agrosystems ist in der Claas Gruppe für Precision Agriculture verantwortlich Wir entwickeln zum Beispiel die Telemetriesysteme. Ein großer Trend sind Assistenzsysteme, ähnlich wie bei einem Auto. Dazu gehören in erster Linie Systeme zum so genannten „Precision Farming“. Dabei wird ein Fahrzeug mit Hilfe von GPS auf einige Zentimeter genau gesteuert. Das hört sich im ersten Moment etwas übertrieben an, aber auf eine große Fläche gesehen gibt es eine enorme Leistungssteigerung und Kostensenkung. Das lässt sich am besten in einem Beispiel verdeutlichen. Moderne Mähdrescher haben Schneidbreiten bis 12 Meter. Das bedeutet: Der Fahrer sitzt sechs Meter von den Seiten seines Fahrzeugs entfernt. Das präzise Lenken und gleichzeitige Bedienen der Maschine ist nicht einfach. Damit nichts stehen bleibt, fährt der Fahrer also immer mit ein wenig Versatz. Das können aber schon mal ein halber bis ein Meter sein, also auf ein Dutzend Runden leicht eine volle Fahrzeugbreite. Mit GPS beträgt der Versatz nur ein paar Zentimeter, der Fahrer spart somit Zeit und Kraftstoff.

Das hört sich aber kaum noch nach Ackerbau an. Ist ein Landwirt heute eher Techniker als Bauer?

Er ist ein ausgebildeter Profi in der modernen, von klassischer Landmaschinentechnik und Informationstechnologie unterstützten Landwirtschaft. Der Bauer mit Gummistiefel und Mistforke, der nur mit Schlepper und Hänger auf die Acker fährt – das ist ein reines Medienphänomen. Vor allem Sendungen, die auf dem Land spielen, transportieren oft ein vollkommen veraltetes Bild von der Landwirtschaft. Extrem viele Betriebe nutzen modernste Technik und lassen sich von IT-Managementsystemen unterstützen.

Aber lohnt sich das überhaupt für viele Landwirte? Sind nicht Riesenbetriebe notwendig, um solche Systeme zu nutzen? claas-traktor2

Moderne Großmähdrescher oder -traktoren benötigen eine gewisse Mindestfläche. Außerdem sind sie natürlich im Vergleich zu einfacheren Fahrzeugen teurer, aber bei einer großen Fläche lohnt sich das. Entsprechende Agrarbetriebe haben wir in Deutschland eher in den neuen Bundesländern Die Maschinen werden aber auch in Maschinenringen oder von Lohnunternehmern eingesetzt. Dadurch entstehen dann wieder ausreichend große Flächen, die mit einem Großgerät sehr effizient bewirtschaftet werden können.

Wie sieht das in anderen Ländern aus? Sind Ihre Innovationen auch weltweit anerkannt?

Wir sind inzwischen ein globales Unternehmen, aber mit deutschen Wurzeln. Die Claas Gruppe macht in Deutschland nur noch etwa ein Viertel ihres Umsatzes. Diese Internationalisierung ist eigentlich nichts Neues, wir haben uns schon immer stark auf den Export ausgerichtet. Allerdings agieren wir heute anders. Wir gehen als Unternehmen in die Großregionen wie etwa Russland und treten dort als Anbieter in diesem Markt auf. Unsere Produkte unterscheiden sich nach den Zielmärkten, denn jeder Markt ist anders. Ein gutes Beispiel ist Indien. Als wir vor 25 Jahren dort eingestiegen sind, haben wir uns die Situation vor Ort genau angeschaut. Wir haben zum Beispiel bemerkt, dass die Betriebsgrößen relativ klein sind und dort – wenn überhaupt Maschinen eingesetzt werden – Lohnunternehmer die Mähdrescher nutzen. Dabei haben wir recht schnell festgestellt, dass wir keinen geeigneten Mähdrescher im Angebot haben. Also haben wir einen entwickelt. Auf diese Weise kommt ein Unternehmen auch in einen neuen Markt. Erst werden die Grundbedürfnisse der Kunden analysiert, dann wird etwas Spezifisches und Neues gebaut. Anders kommen Sie dort nicht an.

Solche Erfolge wünschen sich viele Unternehmen. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den dauerhaften Erfolg von Claas?

Es gibt zahlreiche Gründe, aber sehr wichtig sind sicher Ausdauer und Schnelligkeit. Das kann im Grunde nur ein inhabergeführtes Unternehmen leisten, das nicht an die Berichtspflichten eines börsennotierten Unternehmens gebunden ist. claas-traktor1Den Xerion, ein so genanntes Systemfahrzeug mit Allradlenkung und -antrieb, gleich großen Rädern und drehbarer Kabine, hätte ein solches Unternehmen sicher nicht auf den Markt gebracht. Aber im Unternehmen gab es Helmut Claas, der die nötige Ausdauer hatte und das Projekt zum Erfolg geführt hat.

Ist also eine gewisse Ausdauer das Geheimnis der Innovation?

Nicht nur. Ein Unternehmen braucht viele gute Ideen und Offenheit auch für exotische (unkonventionelle) Vorschläge. Aber gute Ideen alleine reichen nicht. Irgendwann kommt ein Punkt, an dem es schwierig wird bei der Entwicklung eines Produktes. Der kommt oft. Da ist es gut, wenn an entscheidender Stelle Mitarbeiter mit Erfahrung sitzen und die Lösung weiter vorantreiben.

Wie die Namensgeber des Unternehmens?

Ja, zum Beispiel. Familienunternehmen sind in der Regel sehr langfristig orientiert. Es herrscht da eher die Vorstellung, dass der Unternehmenswert auf lange Sicht erhalten bleibt und gesteigert wird. Ein guter Weg dorthin ist Innovation und Wandelbarkeit, um sich rasch ändernden Märkten und Kundenanforderungen anzupassen. Der deutsche Mittelstand ist ein wesentlicher Innovationstreiber in der Wirtschaft und das sind sehr häufig Familienunternehmen wie die Claas Gruppe.

At first glance, the Claas group has little to do with the industries of the future. Most people know the company from agriculture: The paradigmatic Claas combine harvesters are known worldwide. And it is somewhat the counterpart to a VC driven startup eager for an multi million exit. Class is 100 years old, not public but family owned, and residing in the rural lowlands north of the Ruhr Area. But from the beginning Claas was an innovative company – new agricultural machinery, new techniques, new markets. The shareholders have built up an export-oriented, global company, where about 75 percent of revenue is made outside of Germany today. And they take the next step: Claas Agrosystems is developing its own telemetry systems. Similar to cars, assistance systems are a big thing in agriculture. They are primarily meant for precision farming. Here, a vehicle using GPS is accurately controlled to a few centimeters. „Only innovative, moving companies are long term“, says Dr. Jens Möller, CEO of Claas Agrosystems. Family owned, often midsized companies like Claas are a key driver of innovation in german economy. „Leadership in innovation and technology is part of our strategy. Basically, this is our company’s culture and we maintain it very intense.“

Jeder kann zum Innovator werden

„Innovationen ausschließlich über Innovationsabteilungen und -spezialisten zu fördern, ist der falsche Ansatz“, meint Stephan Grabmeier, Berater für Social Business und Gründer der Innovation Evangelists im Interview mit „Digital Heartland“. Er war von 2009-2013 Head of Culture Initiatives bei der Deutschen Telekom AG, leitete dort das Center of Excellence Enterprise 2.0 und beschäftigte sich mit dem Thema „Crowd Innovation“. Seine wichtigste Aufgabe: Netzwerkstrukturen aufbauen.
 

csm_20090520_Grabmeier_046_4cca20476dAlle sprechen von Innovation. Ist der Begriff nicht schon abgenutzt?

Stimmt, in den Unternehmen ist dauernd von Innovation die Rede. Es steht als extrem wichtiges Thema auf der Tagesordnung, denn alle Unternehmen müssen immer schneller Neues wagen, um im Markt bestehen zu können. Trotzdem geraten heutzutage auch große Unternehmen sehr schnell ins Hintertreffen. Marktführerschaft ist schon lange keine Garantie mehr – siehe Nokia oder Kodak.

Das geht sehr schnell und wenn nach Fehlern gesucht wird, stellt man fest, daß nicht radikal genug innoviert wurde. Aber in der Praxis ist nicht so ganz klar, wo die Neuerungen herkommen sollen. Die Frage lautet: Wo und wie schnell findet Innovation zukünftig statt? Handelt es sich um Forschung und Entwicklung? Oder brauchen Unternehmen eine eigene Innovationsabteilung? Oder eine ganz andere Lösung?

Was empfehlen Sie Unternehmen?

Die herkömmlichen Wege zur Innovation reichen bei weitem nicht mehr aus. Meiner Meinung nach kann die Basis von Innovation nicht breit genug sein. Das bedeutet: Alle Mitarbeiter im Unternehmen müssen eine Chance haben, gute Ideen vorzuschlagen und Ihr Know-how einzubringen.

Was ist mit dem mittleren Management? Scheitern dort nicht die meisten Ideen von den sprichwörtlichen einfachen Mitarbeitern?

Das ist leider oft so. In großen Organisationen ist das eine typische Folge von Mechanismen der Existenzsicherung. Innovation hat nämlich zwei Seiten: Zum einen kannibalisiert radikale Innovation auch das Kerngeschäft. Der evolutionäre Ansatz reicht nicht aus, die Weiterentwicklung bestehender Geschäftsbereiche ist auf Dauer meist zu wenig. Zum anderen verändert Innovation die bestehende Organisation und wird deshalb von vielen Leuten, auch von Führungskräften verhindert.

Und wie kann diese Verhinderungsstrategie abgewendet werden?

Meiner Erfahrung nach gibt es zwei sehr wichtige Blickrichtungen: Nach außen und nach innen. Unternehmen sollten einerseits passende Innovationen von außen herein holen und andererseits „Intrapreneure“ fördern, also Angestellte mit guten, marktfähigen Konzepten. Das Unternehmen ist also offen für Anregungen und Ideen von außen, aber auch von allen Mitarbeitern.

Unternehmen, die Innovationen nur in ihrem Kernbereich hervorbringen wollen, werden in Zukunft scheitern. Besonders Konzerne reagieren auf Veränderungen im Markt nicht schnell genug. Die umfangreichen Prozess- und Genehmigungsstrukturen sind ein großes Hindernis, in dem viel Energie verschwendet wird. Märkte sind flexibel, Unternehmen sind es leider nicht.

Wie sind ihre Erfahrungen mit der Telekom? Das Unternehmen ist ja einer der größten Konzerne Europas und sie haben dort die Transformation zu Enterprise 2.0 verantwortet.

Vor meiner Telekom Zeit war ich selbstständig als Organisationsentwickler tätig. Ich habe sowohl für kleine wendige Start-Ups oder Investoren als auch für große Konzerne gearbeitet. Die Telekom hat ja einen gewissen Ruf als bürokratisches Monster, so dass viele Bekannte meinten: Das klappt nie. Und ich sage Ihnen was: Das hat sehr gut geklappt, ich konnte absolut selbstständig arbeiten – im Prinzip wie ein Unternehmer oder vielmehr wie ein Intrapreneur. Der CEO René Obermann und der ehemalige Personalvorstand Thomas Sattelberger waren die Sponsoren unseres Programms.

Sie hatten den klangvollen Titel „Head of Culture Initiatives“. Ist das programmatisch zu verstehen?

Unbedingt. In vielen Unternehmen wie der Telekom ist ein kultureller Wandel nötig. Sie müssen mit sämtlichen Mitarbeitern arbeiten und sie einbinden und das geht am besten mit Sozialen Netzwerken. Mit ihnen ist das sogar mit einigermaßen geringem Aufwand und trotzdem strukturiert möglich, denn sie erlauben einen offenen, nicht-hierarchischen Austausch über Ideen und Konzepte.

Es gibt in der Telekom viele Leute mit tollen Einfällen, die über interne crowdbasierte Technologien wie z.B. JAMs, Prognosemärkte oder das Telekom Social Network eine Stimme und Sichtbarkeit bekommen. Meine Erfahrung nach gibt es genug Ideen, nur haben die Leute entweder nicht die Chance, die Risikofreudigkeit oder das Kapital, diese Ideen auch umzusetzen. Gepaart mit den Ressourcen der Telekom sieht das dann schon wieder anders aus.

Wie werden die Ideen umgesetzt?

Das wichtigste – einfach und schnell. „Lean Start-Up“ ist eine Methodik, die sehr schnell in die Umsetzung geht, Kunden so früh wie möglich mit einbezieht und über Prototypen die ersten Versuche im Markt macht. Wenn in einem Konzern noch mühevoll Powerpoint-Schlachten für Gremien gemacht und Businesspläne schön gerechnet werden, können Sie mit den richtigen Leuten und Methoden bereits an ersten Prototypen arbeiten und Geschäftsmodelle umsetzen. Business Modelling hat sich massiv verändert. Es ist wichtig, dass das in großen Unternehmen ankommt – denn heutzutage frisst der Schnelle den Langsamen!

Und wie funktioniert das in einem großen Unternehmen oder einem Konzernriesen wie der Telekom?

Innovationen sind Chefsache und sollten daher möglichst beim CEO verankert werden. Es darf keine Zwischenschicht geben, wenn Ideen und Innovationen nicht in einer starren Prozessstruktur stecken bleiben sollen. Viele Innovationsinitiativen sind reines Experimentieren, das nicht in die Performance-Logik eines tradierten Managements passt. Erfolge in Innovation lassen sich in den frühen Phasen nicht mit den herkömmlichen Methoden der Quartalsmessung ermitteln.

Natürlich ist der hierarchische Aufbau eines Konzerns nicht sinnlos, er bietet stabile Strukturen für Entscheidungen. Was heute oft fehlt sind Netzwerkstrukturen, die Innovationen deutlich besser fördern. Die entsprechenden Strukturen haben mein Team und ich für die Deutsche Telekom aufgebaut.

Die Telekom muss in Zukunft neue Innovationsstrukturen mit neuen Haltungen und Skills füllen. Konzernmenschen sind häufig keine Unternehmer. Die Telekom muss deshalb sowohl Leute von außen in den Konzern holen, die eine Startup-Mentalität mitbringen als auch intern weiter Intrapreneurship fördern und ausbauen. Auch im Inneren muss eine Gründerkultur aufgebaut und gepflegt werden. In einem solchen Unternehmen kann jeder zum Innovator werden.

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The base for innovation in an enterprise needs to be as broad as possible, says Stephan Grabmeier, social business consultant and founder of Innovation Evangelists to „Digital Heartland“. He was Head of Culture Initiatives and leader of the Center of Excellence Enterprise 2.0 at the biggest german telco Deutsche Telekom AG. Grabmeier is a networker at heart – he likes to connect the dots for intra-corporate social networks.

He suggest social networks as a platform for growing new, innovative ideas. Everyone can provide and discuss thoughts und concepts – even the legendary „normal worker“. But new ideas should not only come from the inside. A real innovative corporation also takes pre-startup enterprises into account. Founders with experience in garage tinkering can enhance the business models of big corporations by avoiding the hassle with approvals and business process conformity.

Big Business seeking for innovation should go off the beaten tracks of Powerpoint combats and canonical management strategies, thinks Grabmeier. His strategie is called „Lean Start-Up“ and shortens time to market for new products or services. It seeks advice from the potential customers and puts some prototypes in position – as early as possible. This is crucial for big corporations because faster enterprises will eat the slow ones.

Über den Ausgang aus der informatischen Unmündigkeit

Prof. Dr. Ludger Humbert, Lehrer, Dozent und Informatikdidaktiker an der Uni Wuppertal, fordert von den Schulen mehr digitale Aufklärung. „Wir dürfen unsere Kinder nicht ohne Allgemeinbildung in Informatik durch die Schulzeit bringen“, meint er im Interview mit „Digital Heartland“.

Die Informatik wird von den meisten Leuten als typisches Oberstufenfach gesehen. Wie ist die Situation in NRW?

Die Informatik ist in der gymnasialen Oberstufe ein altbekanntes und gut eingeführtes Fach. Es ist sogar schon seit 1969 im Fächerangebot enthalten. Sowohl die Lehrer als auch die Schulbehörden können auf eine sehr lange Erfahrung mit dem Fach zurück blicken. Deshalb gibt es auch seit geraumer Zeit eine spezielle Lehrerausbildung für dieses Fach. Es wird nicht nur von weitergebildeten, eigentlich fachfremden Leuten unterrichtet.

Das klingt ja sehr positiv. Ist an den Oberstufen im Land also alles in Ordnung mit dem Informatikunterricht?

Leider haben sich die Rahmenbedingungen nicht verbessert. Informatik ist im mathematisch-naturwissenschaftlichen Aufgabenfeld nicht mit den anderen Fächern gleichgestellt. Es ist lediglich Zweitfach, wie in der Anfangszeit, als von Digitalisierung noch keine Rede war. Das bedeutet also, dass Schülerinnen und Schüler Informatik nicht als erste Naturwissenschaft wählen dürfen.

Es hat deshalb einen schweren Stand in den Schulen. Oft schaffen es nur große Gymnasien das Fach regelmäßig als Leistungskurs anzubieten. Die zentrale Forderung der Gesellschaft für Informatik ist: Das Fach muss den anderen MINT-Fächern gleichgestellt werden. Sonst kann eigentlich von MINT keine Rede sein, das „I“ ist nicht ausreichend repräsentiert.

In der Unter- und Mittelstufe sieht die Lage ja noch schlechter für die Informatik aus. Fehlen da nicht oft die Grundlagen für das Fach?

Richtig, es gibt leider kein Pflichtfach für die Sekundarstufe I. Es gibt lediglich ein paar Initiativen von Realschulen oder Gymnasien, einen schulinternen Unterricht mit eigenen Lehrplänen anzubieten. Das reicht aber nicht. Meiner Meinung nach benötigt heute jeder Mensch eine gewisse informatische Grundbildung, die über das reine Bedienen von Software hinausgeht.

Warum ist das so?

Wir haben in unserer Gesellschaft zur Zeit eine digitale Spaltung. Nur etwa 10 bis 15 Prozent der Menschen verstehen wirklich, was bei der Digitalisierung vor sich geht. Wir müssen uns fragen, wie viel informatische Aufklärung notwendig ist, damit wir als Menschen handlungsfähig bleiben.

Unsere Gesellschaft braucht mündige Bürger, auch mit Blick auf IT. Sonst sind wir von technischen Systemen abhängig. Die Antwort der Schulen auf diese Herausforderung kann nicht „Null“ lauten. Die jungen Leute leben und arbeiten zukünftig in einer Welt, die ganz stark durch Informations- und Kommunikationstechnologie bestimmt ist.

Bringen sich Jugendliche Computerthemen nicht ohnehin von selber bei?

Ja, aber sie entwickeln dabei häufig allerlei Vorurteile, weil sie nur unverbundene Fakten kennen. So haben zum Beispiel heute sehr viele Schüler Angst vor einer Zukunft, in der die Maschinen gewissermaßen die Welt erobern. Das lernen sie über die Medien. Sie stellen Computer, Mobiltelefone und andere Informatiksysteme so dar, als seien es Maschinen, die wirklich alles können.

Der Informatikunterricht in der Sekundarstufe könnte vermitteln, dass die von Menschen entwickelten Maschinen immer Grenzen haben und beispielsweise nicht kreativ sein können. Und das der Mensch immer die Verantwortung trägt und tragen muss.

Das wäre dann ein eher untechnisches Fach. Was ist mit Standards wie Word, Photoshop oder Acrobat?

Aktuelle Software ist eventuell nach dem Ende der Schulzeit schon wieder vom Markt verschwunden oder sieht ganz anders aus. Auch deshalb ist es nicht sinnvoll im Informatikunterricht, die Bedienung von Software zu vermitteln.

Wichtig sind dagegen informatische Grundlagen und Vorstellungen, die es ermöglichen, sich selbstständig in neue Programme einzuarbeiten. Ein Beispiel: Viele Ausbildungsbetriebe fordern für den Informatikunterricht der berufsbildenden Schulen eine Schulung in den bekannten Basisprogrammen der Berufswelt.

Damit greifen sie aber zu kurz, da sie sich primär auf Effizienzkriterien beschränken. Genau aus diesem Grund gibt es die Allgemeinbildung. Sie muss dafür sorgen, dass die Prinzipien verstanden werden, die zur Gestaltung der Werkzeuge nötig sind.

Was ist dann die Hauptaufgabe der Informatik in der Sekundarstufe?

Um es noch einmal zu betonen: Werkzeugwissen reicht nicht aus. Die Konzepte hinter allen Werkzeugen müssen erkannt werden. Es geht darum, den Kindern das Verstehen der Informatik zu ermöglichen.

Sie benötigen eine Art mentales Modell der Vorgänge in einem Informatiksystem, um sich auch bei einer völlig unbekannten Software selbst helfen zu können. Jedes Kind und jeder Jugendliche sollte die Grundlagen kennen. Wir dürfen unsere Kinder nicht ohne Allgemeinbildung in Informatik durch die Schulzeit bringen.

Wie kann das in der Schulpraxis aussehen?

Es ist besonders wichtig, ein grundlegendes Verständnis für die Abläufe in einem Informatiksystem zu entwickeln. Das kann jeder Fünftklässler ohne Probleme. Wie gesagt, es geht nicht um die Bedienung spezifischer Programme oder um Highend-Technologie. Es geht darum, anhand eines einfachen, didaktisch geeigneten Informatiksystems zu lernen, wie Programme funktionieren. Das ist im Grunde programmieren, aber eher in Anführungsstriche gesetzt.

Ist das im Rahmen der aktuellen Stundentafel denn noch zu leisten?

Eine Stunde pro Woche in den Klassen 5 bis 10 würde ausreichen. Zahlreiche Schulen haben einen solchen Unterricht bereits in Eigenregie organisiert. Dabei müssen die Lehrkräfte nicht das Rad neu erfinden. Die Gesellschaft für Informatik (GI) hat die entsprechenden Bildungsstandards bereits definiert. Auf der Website gibt es auch allerlei Werkzeuge und didaktische Hilfen, die speziell an die Arbeit in der Unter- und Mittelstufe angepasst sind. Weitere Hilfen für Lehrer gibt es an der Uni Wuppertal, alles unter einer Creative-Commons-Lizenz. Es kann deshalb für den eigenen Unterricht – ohne Copyright-Probleme – angepasst und genutzt werden.

Bildquelle: Privat

In North Rhine-Westphalia computer science is a school subject since 1969. But it’s mostly for the senior classes of the Gymnasium, the German secondary school which leads to the highest school grade called Abitur. Teachers and scientists claim computer science also for all of the junior classes in all types of schools. Prof. Dr. Ludger Humbert, teacher and expert in didactics of computer science tells “Digital Heartland” why:

“Every child needs a certain general education in computer science beyond mere software handling. Just knowing some tools is not enough. Our children need to be aware of the technical concepts of computing. Main duty of education in computer science at school is to enable understanding of technology. Our society needs responsible and educated citizens in information technology as well. The alternative is dependancy on machines.”

Ausflug ins Zwischenreich – Bücher in Digitalien

Buchbranche und Digitalkultur, das ist keine Liebesbeziehung. Es gibt da ein großes Unverständnis für die Entwicklung der letzten Jahre. Die viel zitierte digitale Kluft wird hier manchmal überdeutlich, wie das folgende Zitat zeigt. Es ist echt, wirkt aber wie vom Postillon geklaut: „Man schaut sich die Dinge an, probiert sie aus, entscheidet sich und geht dann nach Hause und bestellt am Computer. […] Es ist kaum übertrieben, wenn man dieses Verhalten als eine Art Diebstahl betrachtet.“

Das klingt wie Realsatire, ist aber von einem waschechten Verleger alter Schule. Er beschimpfe lieber seine Kunden, als unternehmerisch zu denken, urteilt Verlagsberater Leander Wattig in seinem Blog. Aber was genau meint der Verleger, wenn er von Diebstahl redet? Es geht ihm um den von vielen Händlern gefürchteten Showrooming-Effekt: Im Geschäft gucken und beraten lassen, aber online und möglichst noch vor Ort mit dem Smartphone kaufen.

Ein Blick in die USA ist hilfreich, denn dort wird Showrooming schon viel länger diskutiert. Keine Panik, meint das US- Fachblog eConsultancy, denn es kann leicht bekämpft werden. Händler sollten die Digitalisierung freudig umarmen, zum Beispiel mit einer eigenen App, gut sichtbaren QR-Codes für den App-Download, iPads für die Produktinformation, kostenlosem WiFi und einer Präsenz auf Facebook. Das funktioniert für viele Branchen recht gut und es würde auch im Buchhandel funktionieren – Aufgeschlossenheit für neue Ideen vorausgesetzt.

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Die Digitalisierung freudig umarmen, das macht die Solingerin Stefanie Leo jeden Tag. Sie ist die Gründerin und Chefin der Bücherkinder. Sie ist die Erfinderin der Wohnzimmerlesung, die von ihrem privaten Wohnzimmer aus ins Internet gestreamt wird. Sie bloggt, twittert und facebookt über ihre Erfahrungen mit Kindern, Büchern und dem Internet.

Außerdem ist sie außerhalb des Internets aktiv: Sie schreibt für die Fachzeitschrift Eselsohr, bietet Kinderbuch-Ausstellungen in Kitas im Rheinland an, berät Schulbibliotheken bei der Anschaffung neuer Bücher und hält Vorträge. Kurz: Stefanie Leo ist für die Sache der Kinderbücher ein Nachrichtendrehkreuz in Person.

Der Beginn von all dem waren Bilderbücher für ganz junge Kinder, nämlich die von Stefanie Leo. Sie hatte die Erfahrung gemacht, das gute Kinderbücher zum Vorlesen und Anschauen schwer zu finden sind. Zwar funktioniert der Buchmarkt wie eine gut geölte Maschine. die jedes Jahr 100.000 Neuerscheinungen ausspuckt – davon hunderte Kinder- und Jugendbücher. Aber im Unterschied zu „Erwachsenenbüchern“ gibt es keinen Feuilletonbetrieb, der wenigstens ein paar Schneisen in dieses Dickicht schlägt.

Ein Medium, in dem Eltern bewährte Bilderbücher finden, das wäre doch was, dachte die Solingerin. Und was ist im 21. Jahrhundert ein Medium, das jeder einfach so nutzen kann? Das Internet. Also mietete Stefanie Leo anno 2002 Webspace, um anderen Eltern die bei ihren drei Kindern beliebten Bücher vorzustellen.

Der Rest ist Geschichte, aus dem spontan aufgebauten Angebot wurde völlig ungeplant viel mehr. Inzwischen gibt es eine Redaktion aus 50 Kindern und Jugendlichen, die Bücher erst lesen und dann bewerten. So entstanden bis heute etwa 4.500 Buchbesprechungen. Das sind längst nicht mehr nur Bilderbücher, sondern Erzählungen, Sachbücher und Romane für alle Altersstufen.

Darüber hinaus nutzt Stefanie Leo Facebook und Twitter, um Leute und Dienstleister in der Kinderbuchszene miteinander zu vernetzen. So ist nach und nach ein Ökosystem entstanden, das aus Fans der Bücherkinder, Facebook-Freunden, Realwelt-Kontakten in Verlagen, Buchhandlungen und Bibliotheken besteht.

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Aus den Erfahrungen von Stefanie Leo zeigt sich: Facebook und Twitter eignen sich als „Soziales Graswurzelnetzwerk“, um ohne großen Aufwand Werbung für ein Nischenthema zu machen. Der Bekanntheitsgrad der Bücherkinder und der Lesungen steigt langsam, aber stetig an – wem sie einmal aufgefallen sind, der empfiehlt sie gerne weiter.

Mit tausenden Besuchern ihrer Bücherkinder-Website, über 2.200 Twitter-Followern und gut 3.100 Facebook-Fans hat sie eine gut funktionierende Schnittstelle zwischen Büchern und Internet aufgebaut. Diese Verbindung zwischen analog und digital will bei vielen Verlagen und Buchhandlungen nicht so recht in die Gänge kommen. Stefanie Leo gelingt sie scheinbar mühelos.

Das liegt sicher an ihrer verbindlich-freundlichen Art, ihrer Fähigkeit zum Gespräch und ihrem Interesse an Büchern und an Menschen. Es liegt aber vielleicht auch an der Idee der Empfehlungen. Das ist so etwas der Kern der Bemühungen von Stefanie Leo. Kinder empfehlen anderen Kindern Bücher, Bücherleute empfehlen den besten Umgang mit sozialen Medien, Eltern empfehlen Links zu interessanten Websites rund um Kinderbücher.

Der lokale Buchhandel hat schon immer auf Empfehlung und Beratung gesetzt. Der Schritt ins Internet ist naheliegend. Durch die mehrseitige Kommunikation in Blogs oder sozialen Netzwerken lässt sich die buchhändlerische Empfehlung leicht digital nachbilden. Und sie lässt sich durch den Aufbau einer Fangemeinde abstützen. Dadurch entsteht ein Zwischenreich, das den klassischen Buchhandel und die neuen Möglichkeiten des Internets vereint.

Doch viele Buchhändler, aber auch Verlage verhalten sich eher abwartend. „Die Buchbranche befindet sich in einem enormen Umbruch durch E-Books, E-Commerce und viele andere Dinge,“ sagt Stefanie Leo. „Ich stehe da mittendrin. Es ist eine sehr spannende Zeit.“ Die ausgebildete Schriftsetzerin blickt von außen auf die Branche. Dort entdeckt sie viel Nachholbedarf: „Die Schuld an Problemen wird gerne bei anderen gesucht, auch beim bösen Kunden, der zu Amazon geht. Es wird nicht gefragt: Was können wir tun?“

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„Eine Redaktion aus 50 Kindern und Jugendlichen macht viel Arbeit“, meint Stefanie Leo. „Ich kann aber vieles über soziale Medien organisieren. Die Redaktion koordiniere ich zum Beispiel über eine geschlossene Facebook-Gruppe.“ Nur für den Versand der ausgewählten Titel ist immer noch die Büchersendung der Post wichtig, der teure Teil der Aufgaben bei den Bücherkindern. Einnahmen erzielt sie unter anderem mit Verlagswerbung und Amazon-Links – zu wenig, wie sie findet.

„Kinderbuchempfehlungen sind leider kein besonders gutes Geschäftsmodell.“ Oft herrsche die Meinung vor, es sei ja für die Kultur und die Kinder, da könne man kein Geld verlangen, erzählt sie von ihren Erfahrungen. Die Umsätze aus ihrer Website sind zu gering, um als alleiniges Familieneinkommen auszureichen. Allerdings: „Ich habe hier das ideale Arbeitsmodell für eine Mutter“, findet Stefanie Leo.

„Im übrigen sind die zahlreichen Kontakte, die ich über meine Website, Facebook und Twitter bekomme, unbezahlbar.“ Sie ermöglichen ihr auch Seminare und Vorträge im Bereich Social Media für Buchhandlungen. Dies führt dann zu weiteren Bekanntschaften. Durch die gestiegene Aufmerksamkeit ist es ihr unter anderem gelungen, für die Bücherkinder den avj-Medienpreis zu gewinnen. „Der hat mir wieder viele neue Kontakte ermöglicht und zahlreiche Türen geöffnet.“

Das Geschäftsmodell von Stefanie Leo setzt auf fleißiges Netzwerken, aus dem sich Honorare oder Anzeigenkunden ergeben. „Sicher könnte ich mehr machen“, sagt sie. „Mehr Vorträge und Seminare halten, mehr herumreisen. Aber das verträgt sich nicht mit meinem Hauptberuf als dreifache Mutter. Da bin ich bewusst altmodisch. Aber trotzdem: Ich mache, was ich liebe.“ Und wer kann das schon von sich sagen.

Bildquelle: Wilhelmine Wulff  / pixelio.de

Der Wind über den Wäldern

nrw-windkraftIn Nordrhein-Westfalen gehören Windparks inzwischen zum allgemeinen Landschaftsbild: Gut 3180 Megawatt Strom werden damit an windreichen Tagen erzeugt. Das klingt nach viel, reicht aber nicht an die Leistung klassischer Kraftwerke im Rheinland heran. So hat zum Beispiel das Braunkohlekraftwerk Neurath bei Grevenbroich gute 4400 Megawatt Kapazität.

Der Vergleich ist ein wenig fies, denn Neurath ist das zweitgrößte Kraftwerk seines Typs in Europa. Besser wäre ein Vergleich mit dem Flächen- und Flachland Niedersachsen. Hier werden im Idealfall – sturmfest und erdverwachsen – sagenhafte 7337 Megawatt erzeugt. Der Abstand zwischen den beiden Ländern spiegelt ein wenig die Geografie wieder, im Rheinland beginnt das nordeuropäische Tiefland zwar, doch Niedersachsen liegt größtenteils mittendrin.

Allerdings: Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) ergab, dass die Ausbeutung der Windkraft innerhalb Deutschlands nicht einmal ansatzweise ausgereizt ist. Theoretisch ließen sich 13,8 Prozent der Flächen in Deutschland für Windenergie nutzen – ohne Probleme mit Natur- und Lärmschutz. Auch wenn es ein wenig nach Milchmädchen klingt: Die höchstmögliche Kapazität dieser Anlagen läge bei 1190 Gigawatt und der Ertrag bei 2,9 Millionen Gigawattstunden Strom.

Zum Vergleich: Die erreichbare Strommenge wäre fünfmal so groß wie der Stromverbrauch 2012. Klingt phantastisch und ist es auch, denn vermutlich würde bei Verwirklichung des Szenarios ein Aufstand der Wutbürger folgen – Stichwort „Verspargelung der Landschaft“. Die Studie ist also weniger als Handlungsanweisung, denn als dringende Mahnung zu verstehen. Bislang setzen viele Windenergiebefürworter in der Politik ja auf die scheinbar unproblematischen (weil bürgerfernen) Offshore-Anlagen weit, weit draußen auf See.

Da die Küstenzonen in NRW sich auf die Ränder einiger größerer Talsperren beschränken, setzt das Land seit ein paar Jahren auf den Ausbau der Onshore-Windparks. Speziell für NRW gibt es eine Studie, in der die Möglichkeiten etwas genauer ausgelotet werden. Sie zeigt eine ähnliche Tendenz wie die Fraunhofer-Studie: Machbar sind hier pro Jahr 71 Terawattstunden, etwa das Doppelte des privaten Stromverbrauchs in NRW. Das entspricht Windparks mit gut 30 Gigawatt Leistung auf etwa 3,3 Prozent der Landesfläche.

anteil-ee-stromDie Landesregierung möchte sogar noch weiter gehen. O-Ton aus dem Umweltministerium: „Um die Ausbauziele bei der Windenergie zu erreichen, müssen auch auf Waldflächen neue Vorranggebiete erschlossen werden. Der Grundstein für eine intensivere Nutzung ist bereits gelegt: Die technische Entwicklung hat neue Anlagentypen hervorgebracht, die mit Nabenhöhen von mehr als 100 Metern Höhe auch die turbulenzarmen Zonen über den Baumkronen unserer Wälder nutzen können.“

NRW hat nach Ansicht von Politik und Verwaltung mehr als genug grundsätzlich geeigneter Waldflächen, nämlich die etwa 348.000 Hektar Nadelwald außerhalb von Schutzgebieten – der klassische Nutzwald für die Herstellung von Papier, Bau-, Möbel- oder Brennholz. Das Ministerium geht davon aus, dass sich (nur) etwa drei Prozent dieses Bestandes wirklich eignen, so dass eine Anlagenleistung von wenigstens 6200 Megawatt darauf aufgebaut werden kann – gut zweimal so viel wie aktuelle Gesamtleistung im Land.

Bildquelle: Erich Westendarp / pixelio.de
Karte: Bundesumweltamt, eigene Bearbeitung
Diagramm: Bundesumweltamt

Wind energy is a big thing in Germany and also in North Rhine-Westphalia. 3180 megawatts are installed and the region ranks fourth in whole Germany. The countries secretary for the environment, Johannes Remmel, would like to push it to the front. His staff has compiled a survey of all areas that qualify for wind turbines. The result: 3,3 per cent of the countries land area can be used for a power capacity of 30 gigawatts. If some woodland is also used the result will be 36 gigawatts or more.