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Cloud Computing unter Hochspannung

Produktivitätssteigerung ist das Mantra des Cloud Computing. Das zeigen die Überschriften von aktuellen Fachveröffentlichungen. Als kleine Auswahl: Wie Cloud Computing die Produktivität ihres Recruiting steigert. Produktivität steigern durch Automatisierung. Wie der Digital Workplace produktiver macht. Die Cloud als zentraler Produktivitätsfaktor. Usw. usf. 

Doch wo genau erzeugt die Cloud eine höhere Produktivität? Diese Frage ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Zumindest aus der Sicht der Gesamtwirtschaft wächst die Arbeitsproduktivität seit Jahrzehnten kaum noch. Eine erklärungsbedürftige Entwicklung, denn genau in diesen Zeitraum fällt die flächendeckende Verbreitung von Informationstechnologie. Trotz ihres großen Produktivitätsversprechens scheint es, als seien Unternehmen kaum produktiver geworden.

Dieser Zusammenhang wird auch als das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie bezeichnet. Es gibt eine Menge Hinweise darauf, dass die Hypothese stimmt. Ein alltägliches Beispiel: Office-Software verlagert die Arbeit am Inhalt auf Gefrickel an der Form. Dadurch wird ein simpler Bericht zum Zwischenstand eines Projekts zu einem Hochglanzdokument in Magazin-Optik. Kostete ein solcher Bericht in den frühen achtziger Jahren vielleicht 500 Mark an Material und Arbeitseinsatz, so geht es heute in den vierstelligen Bereich – da ist sie hin, die Arbeitsproduktivität.

Einfach Cloud? Nein, hybride Multi-Cloud

Um die Frage nach der Produktivität der Cloud wenigstens einigermaßen beantworten zu können, zunächst ein Blick auf eine wichtige Stoßrichtung von Cloud Computing: Der Ersatz selbstbetriebener IT durch eine neue Form von Outsourcing. Am deutlichsten ist dies bei Geschäftsanwendungen, die im Browser genutzt werden. Software as a Service (SaaS) ersetzt lokal installierte Programme. 

Zunächst einmal ist das eine Win-Win-Situation. Der Hersteller der Software erspart sich den Aufwand für die Distribution. Es gibt nur noch ein Release, dessen einzige Instanz gepflegt und weiterentwickelt wird. Updates stehen allen Nutzern sofort zur Verfügung. Admins in Unternehmen müssen keine Software verteilen, kein Patchmanagement betreiben und nur vergleichsweise wenige Computerressourcen bereithalten.

Doch der Rückschlag folgt auf dem Fuße. Durch die Möglichkeit der schnellen Releases hat sich eine Featuritis breitgemacht, sowohl bei einzelnen Cloudservices als auch im Gesamtmarkt. Inzwischen gibt es für jedes nur denkbare Problem irgendeine Cloudanwendung. Kanban-Boards online? Kein Problem mit Trello. SEO-Texte unkompliziert verfassen? Searchmetrics steht bereit. Sprachaufzeichnungen transkribieren? Hier lang zu Trint.

Und das ist nur SaaS. Wer sein Rechenzentrum abschaffen möchte, kann Cloudinfrastruktur bei fünf großen und Dutzenden kleineren Anbietern buchen. Der Funktionsumfang der Marktführer ist gigantisch, ihre Leistungsfähigkeit ebenso und viele ihrer Spezialfunktionen sind konkurrenzlos. So nutzen Unternehmen häufig zahlreiche SaasS-Anbieter und Infrastrukturservices zur gleichen Zeit – die viel zitierte Multi-Cloud ist entstanden.

Sie ist außerdem oft eine Mischung aus lokalen und wolkigen Anwendungen – die Hybrid-Cloud. Der Grund: Zumindest in den KRITIS-Branchen dürfen viele Cloudanwendungen nur in einer Private Cloud im eigenen Rechenzentrum betrieben werden. Die EU-Datenschutzregeln fügen dem weitere strenge Anforderungen hinzu, sodass viele internationale Clouds ungeeignet sind. Was aber ihre Nutzung nicht verhindert, wenn es um nicht datenschutzrelevante Informationen geht.

Die Cloud: Nicht weniger komplex als früher, nur anders

Die Unternehmen befinden sich also in einem Dilemma: Auf der einen Seite machen Cloudservices tatsächlich vieles einfacher. Auf der anderen erhöhen sie die Komplexität der IT auf neue Weise, etwa durch eine aufwändige Konfiguration und Integration der Cloudservices. Bereits ein scheinbar simpler Service wie Microsoft Office 365 Enterprise erweist sich beim näheren Hinschauen als Labyrinth, das ebenso kenntnis- wie trickreiche Admins erfordert. 

Eine Explosion der Komplexität ist zudem die Folge, wenn zusätzlich zur Public Cloud auch selbstbetriebene Anwendungen wie die SAP-Suite und eine Private Cloud zu einem stabilen und leistungsfähigen Ganzen integriert werden sollen. Hier endet dann das Versprechen der Cloud, IT ganz einfach zu machen. Denn ohne Know-how und Erfahrung geht nichts. Die beim Auflösen des eigenen IT-Betriebs freigesetzten Admins sind zur Vordertür hinaus und zur Hintertür wieder hereingekommen. In vielen großen Unternehmen ist sogar das Gegenteil einer Vereinfachung passiert: Die Kosten für Investitionen und Personal in der IT steigen seit Jahren.

Zudem wächst auch der Beratungsbedarf. Ein Beispiel ist die Highend-Cloudanwendung Salesforce. Sie ist an ihrer Basis immer noch eine einfach zu nutzende CRM-Lösung, bietet aber zudem viele neue Möglichkeiten rund um Kundenservice, Social Media und interne Zusammenarbeit. Wenn ein Unternehmen diesen Mehrwert nutzen will, muss es zuerst auf den Prüfstand. So setzen viele Möglichkeiten von Salesforce auch entsprechende Strukturen voraus. Wer zum Beispiel die inhaltliche Expertise nicht im Haus hat, kann mit den entsprechenden Funktionen nur wenig anfangen.

Beratungsbedarf: Cloudservices in Etappen einführen

Im zweiten Schritt muss der Nutzer Salesforce an die bestehende digitale Infrastruktur anpassen, meint Florian Gehring, Gründer des Consulting-Unternehmens Salesfive, das sich auf Beratung von Salesforce-Nutzern spezialisiert hat. Ein boomender Sektor: Seit der Gründung 2016 ist das junge Unternehmen auf knapp 70 Mitarbeiter angewachsen und hat weit über 250 erfolgreiche Beratungsprojekte verwirklicht. Der Kundenstamm reicht dabei von Startups über Hidden Champions aus dem Mittelstand bis hin zu Konzernen.

„Salesforce ist gut darin, die Komplexität der Cloud von den Anwendern abzuschirmen“, sagt Gehring. „Man muss kein Entwickler oder Informatiker sein, um Salesforce richtig aufzusetzen. Die Setup-Konsole funktioniert wie ein Baukastensystem und führt die Nutzer zuverlässig zum Ziel.“ Das sei auch das Prinzip von Salesforce, die Anwender sollten möglichst viel selbst machen. Der Salesfive-Gründer betont: Die eigentliche Komplexität entstehe auf einem anderen Feld.

„Salesforce hat ein offenes Ökosystem aufgebaut, in das die Nutzer sehr viele verschiedene andere Systeme integrieren können“, erklärt Sven Strehlke, Mitgründer von Salesfive. „Dazu muss aber ein Digitalisierungskonzept definiert werden. Hier liegt unsere eigentliche Beratungsleistung.“ Seiner Meinung nach holen im Moment noch nicht alle Nutzer das Maximum aus Salesforce heraus. Das könne sein, weil sie die Komplexität der Möglichkeiten nicht überblicken oder weil sie Unterstützung bei der Integration von Drittsystemen benötigen.

In der Praxis arbeiten die Berater von Salesfive vorwiegend in Multi-Cloud-Projekten, bei denen Komplexität selbstverständlich ist. Hinzu kommt, dass Salesforce neben CRM auch Service, Marketing, Commerce, verschiedene Industrielösungen und vieles mehr anbietet – und auch immer mehr Kunden darauf zugreifen. Dahinter verbergen sich große Change-Projekte: „Es ist wichtig, ein iteratives und agiles Verfahren zu wählen, bei dem die Stakeholder eingebunden werden.“ sagt Strehlke. „Es gibt einen enormen Beratungsbedarf, vor allem im Mittelstand. Dort arbeiten sehr viele Unternehmen noch mit einer Kombination aus Notizblock und Excel.“

Cloudproduktivität lässt sich nur schwer messen

Dieser Ausflug in das Salesforce-Ökosystem zeigt, dass die Zeiten einfacher Lösungen vorbei sind. Wenn ein Unternehmen von der Cloud profitieren will, muss es zu 100 Prozent auf sie setzen. Umfassende Digitalisierung ist gefragt. Wer noch Papierschnittstellen und Excel-Basteleien nutzt, verschenkt viel Potenzial.

Und was ist mit der Produktivität? Vermutlich ist das Produktivitätsparadoxon nur ein Trugbild. Es basiert auf einer Vorstellung von Produktivität, die auf Messungen zurückgeht. Alles, was sich nicht (ohne weiteres) messen lässt, fällt demnach nicht unter die Produktivität. Denn der eigentliche Vorteil der Entwicklung des Cloud Computing in den letzten 15 Jahren liegt nicht in einer Produktivitätssteigerung, die an simplen KPIs ablesbar ist. Sie liegt in den neuen Möglichkeiten, die uns ohne Cloud nicht verfügbar wären. 

Ein Beispiel: Vor 25 Jahren wurden im Marketing in erster Linie Broschüren per Post versendet. Damals gab es noch keine Nahe-Echtzeit-Kommunikation via Facebook oder LinkedIn. Sie ist chancenreich, aber auch kostenträchtig – vor allem beim Personal. Die Idealvorstellung ist ein Newsroom mit 24×7-Besetzung, der im Notfall zu jeder Tages- und Nachtzeit aggressiv aufgeschaukelte Diskussionen glättet. 

So machen heute oft zwei Dutzend Leute eine Aufgabe, die es vor einem Vierteljahrhundert gar nicht gab. Aus einer stark vereinfachten Sicht heraus macht das Marketing heute nichts anderes als früher™, aber mit dem zigfachen Personal und entsprechend höheren Gestehungskosten. Die entscheidende Frage bei der Produktivität der Cloud: Welche Aufgaben ermöglicht sie. Es geht nicht darum, einen fixen Bestand an Arbeit auf weniger Köpfe zu verteilen. Es geht darum, in einem durch Digitalisierung und Informationstechnologie bestimmten Alltag zu arbeiten.

Bildquelle: Pixabay

Über den Ausgang aus der informatischen Unmündigkeit

Prof. Dr. Ludger Humbert, Lehrer, Dozent und Informatikdidaktiker an der Uni Wuppertal, fordert von den Schulen mehr digitale Aufklärung. „Wir dürfen unsere Kinder nicht ohne Allgemeinbildung in Informatik durch die Schulzeit bringen“, meint er im Interview mit „Digital Heartland“.

Die Informatik wird von den meisten Leuten als typisches Oberstufenfach gesehen. Wie ist die Situation in NRW?

Die Informatik ist in der gymnasialen Oberstufe ein altbekanntes und gut eingeführtes Fach. Es ist sogar schon seit 1969 im Fächerangebot enthalten. Sowohl die Lehrer als auch die Schulbehörden können auf eine sehr lange Erfahrung mit dem Fach zurück blicken. Deshalb gibt es auch seit geraumer Zeit eine spezielle Lehrerausbildung für dieses Fach. Es wird nicht nur von weitergebildeten, eigentlich fachfremden Leuten unterrichtet.

Das klingt ja sehr positiv. Ist an den Oberstufen im Land also alles in Ordnung mit dem Informatikunterricht?

Leider haben sich die Rahmenbedingungen nicht verbessert. Informatik ist im mathematisch-naturwissenschaftlichen Aufgabenfeld nicht mit den anderen Fächern gleichgestellt. Es ist lediglich Zweitfach, wie in der Anfangszeit, als von Digitalisierung noch keine Rede war. Das bedeutet also, dass Schülerinnen und Schüler Informatik nicht als erste Naturwissenschaft wählen dürfen.

Es hat deshalb einen schweren Stand in den Schulen. Oft schaffen es nur große Gymnasien das Fach regelmäßig als Leistungskurs anzubieten. Die zentrale Forderung der Gesellschaft für Informatik ist: Das Fach muss den anderen MINT-Fächern gleichgestellt werden. Sonst kann eigentlich von MINT keine Rede sein, das „I“ ist nicht ausreichend repräsentiert.

In der Unter- und Mittelstufe sieht die Lage ja noch schlechter für die Informatik aus. Fehlen da nicht oft die Grundlagen für das Fach?

Richtig, es gibt leider kein Pflichtfach für die Sekundarstufe I. Es gibt lediglich ein paar Initiativen von Realschulen oder Gymnasien, einen schulinternen Unterricht mit eigenen Lehrplänen anzubieten. Das reicht aber nicht. Meiner Meinung nach benötigt heute jeder Mensch eine gewisse informatische Grundbildung, die über das reine Bedienen von Software hinausgeht.

Warum ist das so?

Wir haben in unserer Gesellschaft zur Zeit eine digitale Spaltung. Nur etwa 10 bis 15 Prozent der Menschen verstehen wirklich, was bei der Digitalisierung vor sich geht. Wir müssen uns fragen, wie viel informatische Aufklärung notwendig ist, damit wir als Menschen handlungsfähig bleiben.

Unsere Gesellschaft braucht mündige Bürger, auch mit Blick auf IT. Sonst sind wir von technischen Systemen abhängig. Die Antwort der Schulen auf diese Herausforderung kann nicht „Null“ lauten. Die jungen Leute leben und arbeiten zukünftig in einer Welt, die ganz stark durch Informations- und Kommunikationstechnologie bestimmt ist.

Bringen sich Jugendliche Computerthemen nicht ohnehin von selber bei?

Ja, aber sie entwickeln dabei häufig allerlei Vorurteile, weil sie nur unverbundene Fakten kennen. So haben zum Beispiel heute sehr viele Schüler Angst vor einer Zukunft, in der die Maschinen gewissermaßen die Welt erobern. Das lernen sie über die Medien. Sie stellen Computer, Mobiltelefone und andere Informatiksysteme so dar, als seien es Maschinen, die wirklich alles können.

Der Informatikunterricht in der Sekundarstufe könnte vermitteln, dass die von Menschen entwickelten Maschinen immer Grenzen haben und beispielsweise nicht kreativ sein können. Und das der Mensch immer die Verantwortung trägt und tragen muss.

Das wäre dann ein eher untechnisches Fach. Was ist mit Standards wie Word, Photoshop oder Acrobat?

Aktuelle Software ist eventuell nach dem Ende der Schulzeit schon wieder vom Markt verschwunden oder sieht ganz anders aus. Auch deshalb ist es nicht sinnvoll im Informatikunterricht, die Bedienung von Software zu vermitteln.

Wichtig sind dagegen informatische Grundlagen und Vorstellungen, die es ermöglichen, sich selbstständig in neue Programme einzuarbeiten. Ein Beispiel: Viele Ausbildungsbetriebe fordern für den Informatikunterricht der berufsbildenden Schulen eine Schulung in den bekannten Basisprogrammen der Berufswelt.

Damit greifen sie aber zu kurz, da sie sich primär auf Effizienzkriterien beschränken. Genau aus diesem Grund gibt es die Allgemeinbildung. Sie muss dafür sorgen, dass die Prinzipien verstanden werden, die zur Gestaltung der Werkzeuge nötig sind.

Was ist dann die Hauptaufgabe der Informatik in der Sekundarstufe?

Um es noch einmal zu betonen: Werkzeugwissen reicht nicht aus. Die Konzepte hinter allen Werkzeugen müssen erkannt werden. Es geht darum, den Kindern das Verstehen der Informatik zu ermöglichen.

Sie benötigen eine Art mentales Modell der Vorgänge in einem Informatiksystem, um sich auch bei einer völlig unbekannten Software selbst helfen zu können. Jedes Kind und jeder Jugendliche sollte die Grundlagen kennen. Wir dürfen unsere Kinder nicht ohne Allgemeinbildung in Informatik durch die Schulzeit bringen.

Wie kann das in der Schulpraxis aussehen?

Es ist besonders wichtig, ein grundlegendes Verständnis für die Abläufe in einem Informatiksystem zu entwickeln. Das kann jeder Fünftklässler ohne Probleme. Wie gesagt, es geht nicht um die Bedienung spezifischer Programme oder um Highend-Technologie. Es geht darum, anhand eines einfachen, didaktisch geeigneten Informatiksystems zu lernen, wie Programme funktionieren. Das ist im Grunde programmieren, aber eher in Anführungsstriche gesetzt.

Ist das im Rahmen der aktuellen Stundentafel denn noch zu leisten?

Eine Stunde pro Woche in den Klassen 5 bis 10 würde ausreichen. Zahlreiche Schulen haben einen solchen Unterricht bereits in Eigenregie organisiert. Dabei müssen die Lehrkräfte nicht das Rad neu erfinden. Die Gesellschaft für Informatik (GI) hat die entsprechenden Bildungsstandards bereits definiert. Auf der Website gibt es auch allerlei Werkzeuge und didaktische Hilfen, die speziell an die Arbeit in der Unter- und Mittelstufe angepasst sind. Weitere Hilfen für Lehrer gibt es an der Uni Wuppertal, alles unter einer Creative-Commons-Lizenz. Es kann deshalb für den eigenen Unterricht – ohne Copyright-Probleme – angepasst und genutzt werden.

Bildquelle: Privat

In North Rhine-Westphalia computer science is a school subject since 1969. But it’s mostly for the senior classes of the Gymnasium, the German secondary school which leads to the highest school grade called Abitur. Teachers and scientists claim computer science also for all of the junior classes in all types of schools. Prof. Dr. Ludger Humbert, teacher and expert in didactics of computer science tells “Digital Heartland” why:

“Every child needs a certain general education in computer science beyond mere software handling. Just knowing some tools is not enough. Our children need to be aware of the technical concepts of computing. Main duty of education in computer science at school is to enable understanding of technology. Our society needs responsible and educated citizens in information technology as well. The alternative is dependancy on machines.”