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Turbodigitalisierung – der virale Effekt

Für einen V-Verlauf sind wir noch ganz schön weit unten: Die Wirtschaftsweisen haben am 20. März in ihrem Sondergutachten für Deutschland einen tiefen Absturz mit vergleichsweise schneller Erholung prognostiziert. Das war zu optimistisch gedacht und ist bereits jetzt von der Wirklichkeit überholt.

Die stärkste Wirtschaftskrise seit 1929

Das Statistische Bundesamt ermittelte am 15. Mai einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,2 Prozent. Die Bundesregierung geht von 6,3 Prozent für das ganze Jahr 2020 aus. Kurz gesagt: Die Rezession ist da und sie ist beispiellos. Dieser starke Einbruch liegt unter anderem auch daran, dass die Corona-Krise sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite betrifft.

Denn anders als in der Finanzkrise von 2008 bleiben die Verbraucher nicht unbeeindruckt, im Gegenteil. Außer bei Lebensmitteln und Unterhaltungsmedien haben die Verbraucher deutlich weniger konsumiert. Diese Kaufzurückhaltung wird uns noch lange erhalten bleiben. So mussten deutsche Autohersteller bereits wenige Wochen nach dem Neustart ihrer Produktion den Ausstoß wieder verringern, weil die Kunden ausbleiben.

Doch es ist zu einseitig, das Bild nur schwarz in schwarz zu malen. Die wirtschaftlichen Sektoren sind unterschiedlich betroffen. So wird in den nächsten Monaten die Zahl der Insolvenzen in einigen Branchen stark ansteigen, während andere weniger betroffen sind oder sogar von der Krise profitieren. Zu letzteren gehören vor allem die großen Plattformunternehmen, in erster Linie Amazon.

Digitale Vorreiter sind widerstandsfähiger

Eine genaue Analyse der Folgen der Corona-Krise in unterschiedlichen Branchen bringt das Trendbook Smarter Enterprise, dass ich zusammen mit dem digitalen Mastermind Bernhard Steimel geschrieben habe. Unsere These dabei: Je stärker ein Unternehmen digitalisiert ist, desto besser ist es mit der Krise klargekommen.

Das eindrücklichste Beispiel ist natürlich das Homeoffice. Viele Unternehmen haben sich bisher dagegen gewehrt. So verschenkten sie in der Corona-Krise wertvolle Zeit, bis alle Mitarbeiter in ihren Heimbüros wieder arbeitsfähig waren. Nur Unternehmen mit digitalen Arbeitsplätzen konnten ab Tag Eins ungebremst weiter arbeiten.

Viele weitere Beispiele finden sich in der Studie, aber auch in einem Gespräch zwischen Bernhard Steimel, dem Wirtschaftsjournalisten Gunnar Sohn und weiteren Digitalexperten. Auch hier die einhellige Meinung: Digitale Vorreiter sind widerstandsfähiger. Deutsche Firmen sollten davon lernen, gerade jetzt, während des Neustart der Wirtschaft.

Die Krise als Turbo der Digitalisierung

Es gibt eine ganze Reihe an Unternehmen, die in der Krise geschickt agiert haben. Ein Kosmetikunternehmen setzte das Personal der geschlossenen Filialen als Berater im Online-Verkauf über Social-Apps wie WeChat ein. Eine Restaurantkette entwickelte Halbfertig-Gerichte, die das Kochen zu Hause erleichtern. Ein Lebensmittelhersteller sah das Hamstern voraus und verlagerte seinen Vertriebsschwerpunkt auf E-Commerce.

Die Unternehmen waren dadurch in der Lage, wenigstens einen Teil ihrer Umsätze zu halten und nach dem Neustart der Wirtschaft zu wachsen. Diese Beispiele haben allerdings einen Haken: Sie stammen aus China. Weit fortgeschrittene Digitalisierung und eine agile Arbeitsweise erlaubten rasche Krisenreaktion bereits im Januar. Deutsche Unternehmen dagegen mussten häufig erst die technischen Voraussetzungen für Webshops oder Videomeetings schaffen.

So macht Corona schmerzhaft auf viele Digitalisierungslücken in der deutschen Wirtschaft aufmerksam und wirkt gleichzeitig als Digitalisierungsturbo. Einige Lücken sind jetzt im Eiltempo geschlossen worden, andere erfordern hohe Investitionen in digitale und nachhaltige Technologien – um Innovationen zu schaffen.

Das alternative Ende: Die neue Normalität ist die alte

Unser Trendbook hat einige grimmige Nachrichten für die deutsche Wirtschaft. Wir sind aber optimistisch gestimmt und gehen davon aus, dass Wirtschaft und Politik in Deutschland verstanden haben. notwendig sind jetzt mehr Digitalisierung, neuartige (agile) Arbeitsweisen und viel Innovation.

Für bewegliche Unternehmen ist das meist kein Problem. Die im Vergleich zur Bay Area eher kleine, aber fix agierende Startup-Szene in Deutschland zeigt es. Auch auf den ersten Blick traditionell wirkende Mittelständler reagierten fix, beispielsweise Trigema als ein Vorreiter bei der Produktion von Stoffmasken.

Doch gerade einige Unternehmen aus deutschen Kernbranchen scheinen bei diesen Lektionen geschlafen zu haben: Sie kappen Investitionen, kürzen Forschungsausgaben und stoppen Innovationsprojekte, wie der Plattformexperte Holger Schmidt in einem Artikel in der Zeit kritisiert. Die große Gefahr ist, dass die Unternehmen wieder in ihre alten, abwehrenden Reflexe verfallen und die üblichen Verdächtigen aus der GAFA-Ecke die einzige Gewinner der Krise sind.

Bildquelle: Iscatel / Adobe Stock

Innovation in D-Moll op. 2019

Wenn ein Porträt Deutschlands mit dem Versailler Vertrag beginnt, kann es sich eigentlich nur um einen Abgesang handeln. Und so liest sich der Artikel aus der Business Week vom April 2019: „Deutschland wirkt, als würde es in den letzten Tagen einer Ära leben; da ist diese Atmosphäre des bevorstehenden Wandels, für den niemand bereit zu sein scheint. Das Land bleibt zwar reich und politisch stabil, aber es ist schwer, sich dem Eindruck zu entziehen, dass die Deutschen selbstgefällig auf die Bedrohung ihres Wohlstands reagieren.“

Darauf folgen ein paar Stichworte, die uns auch von den eigenen Medien regelmäßig um die Ohren gehauen werden: Kanzlerinnendämmerung, Ende des Verbrennungsmotors, sklerotischer Bankensektor, Gegenwind durch globale Handelskriege, alarmierend geringes Wachstum. Doch die Business Week sieht neben viel Schatten auch ein wenig Licht: „Die Menge an kleinen und mittelgroßen Unternehmen, aus denen sich der mächtige deutsche Mittelstand zusammensetzt, bleiben innovativ und hochspezialisiert in ihren Premium-Nischen. Deutschland liegt bei der Automatisierung auf dem dritten Platz weltweit. Der Wechsel zu sauberem Strom hat es zu einem globalen Zentrum für erneuerbare Energien gemacht.“

Aus der Außensicht wirkt die Situation der hiesigen Wirtschaft durchwachsen. Doch wenigstens in Apokalyptik wollen die Deutschen Weltmeister sein. „Technologisch fast abgehängt: Deutschlands Wohlstand in ernster Gefahr“, titelte die Wirtschaftswoche Ende Oktober. Die Revolutionen und Innovationen der Tech-Branche seien an Deutschland vorbeigegangen – keine Computer, keine Smartphones, kein Internet, kein Cloud Computing und bald auch weder Machine Learning noch Künstliche Intelligenz. Das Land sei schwach in Sachen Software, habe nicht genügend Investoren für innovative Geschäftsmodelle und zehre immer noch von den Errungenschaften des 19. Jahrhunderts. Ein Klagegesang in D-Moll.

Die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft

Es ist leider so: Die deutsche Digitalwirtschaft und Softwarebranche sind unterentwickelt. Doch Tech-Branchen wie Maschinenbau, Automatisierungstechnik und Automobilindustrie sind immer noch weltweit führend. Nicht umsonst hat E-Auto-Visionär Elon Musk den Produktionstechnik-Spezialisten Grohmann aus der Eifel einfach aufgekauft, um sich das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeiter für seine Giga-Factories zu sichern – von denen eine in Deutschland gebaut werden soll. Dieses uneinheitliche Bild zeigt sich auch wieder beim seit 2007 fortlaufend ermittelten “Global Innovation Index (GII)” der „World Intellectual Property Organization (WIPO)“ der UN. Er sieht Deutschland auf dem 9. Rang. Es war allerdings auch schon mal auf Rang 13 (2013) und sogar auf Rang zwei (2007).

[toggle title=“Einige Ergebnisse des GII im Detail“]

Mit diesem Index wird die Wettbewerbsfähigkeit von 144 Nationen gemessen und zwar anhand von mehr als 80 Kriterien, darunter die Gründungsaktivitäten, Ausgaben für Bildung und Forschung und vieles mehr. Dabei wird zwischen Input-Kriterien (etwa Bildungssystem oder Dienstleistungssektor) und Output-Kriterien (Marktkapitalisierung, verfügbare Investments oder wissenschaftliche Veröffentlichungen) unterschieden. Bei einigen entscheidenden Indikatoren liegt die deutsche Wirtschaft bereits seit Jahren in der zweiten Hälfte der Liste.

So sind wir beim Gründen (Indikator “New businesses/th pop. 15–64”) auf Rang 64, es wird nach wie vor nicht ausreichend investiert (Indikator “Gross capital formation, % GDP”, Rang 91) und auch das Dauerproblem der schwierigen Unternehmensgründung ist noch da (Indikator ”Ease of starting a business”, Rang 88). Und traditionell liegt unser Land bei den Ausgaben für Bildung ebenfalls nicht vorn, nämlich auf Rang 55 (Expenditure on education, % GDP). Positiv dagegen: Rang 8 bei der Forschung (Indikator „Gross expenditure on R&D, % GDP“) und Rang 6 bei der Indikatorengruppe „Knowledge Creation“. Die Indikatoren zeigen außerdem , dass Deutschland auch als Standort für die Hightech-Herstellung (Indikator „High- & medium-high-tech manufactures, %“) mit Rang 6 ganz gut dasteht.

Top 25 der innovativen Staaaten im Jahresvergleich

Die letzten zehn Jahre sind bei Deutschland von wechselnden Positionen im Mittelfeld gekennzeichnet, jedenfalls gemessen am deutschen Selbstbild. Dass dies nicht mehr so ganz realistisch ist, merken viele Leute beim Überschreiten der holländischen Grenze. Das kleine Land hat sich längst aus dem Zeitalter der Wassertomate verabschiedet und stärkere Anstrengungen In Sachen Digitalisierung unternommen – wie auch Großbritannien. Entsprechend sind beide Länder seit einigen Jahren auf Spitzenplätze abonniert.

Interessant auch der dauerhafte erste Platz für die Schweiz und das sehr gute Abschneiden der Schweden. Auch den USA sind immer gute oder sehr gute Plätze sicher. Ein deutlicher Absteiger im letzten Jahrzehnt war Hongkong, das traditionell auf Augenhöhe mit den westlichen Industriestaaten agierte. Dies ist sicher im Zusammenhang mit dem Aufstieg von Mainland China zu sehen – die chinesische Regierung zieht vermutlich Innovationskapazität aus Hongkong ab und stärkt andere Metropolen – deutlich sichtbar am Aufstieg in die Top 25.

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„Länder wie Dänemark, Finnland, Großbritannien oder die Niederlande machen deutlich mehr aus ihren Möglichkeiten“, urteilt der Innovationsberater Jürgen Stäudtner. „Vor allem beim Innovations-Output fallen wir gegen diese Länder zurück.“ Stäudtner hat kürzlich eine erweiterte Auflage seines Buchs „Deutschland im Innovationsstau“ herausgebracht. Eine Kernaussage des Autoren: Die deutschen Unternehmen sind nicht innovativ genug. „Deutsche Manager verstehen zu selten, dass Innovation die finanziell erfolgreichste Strategie ist und widmen sich lieber Sparplänen.“ Investitionen in Neues seien den deutschen Unternehmen nicht wichtig. „Wir zehren lieber von der Vergangenheit“, sagt Stäudtner.

Auf die Frage, wie deutsche Unternehmen innovativer werden können, findet Stäudtner folgende Antwort: Indem die Menschen ideenreicher, kreativer und offener für neue Gedanken werden. Jedes Unternehmen braucht deshalb Mitarbeiter, die Regeln brechen, Kunden wirklich verstehen, mit Leidenschaft ihre Ideen vertreten, mit Augenmaß ihre Chancen nutzen, auch in schwierigen Situationen dranbleiben und Moonshot-Projekte beherrschen. Er plädiert für Innovationsinitiativen und Unternehmensgründungen, um ein Thema neu zu denken und zu gestalten. Seine Erkenntnis: „Die deutsche Gesellschaft legt Innovatoren Steine in den Weg. Jeder einzelne ist aufgerufen, dies zu ändern.“

Zur Lage der Innovation in Deutschland

„Das haben wir immer schon so gemacht. Das haben wir noch nie so gemacht. Das hat schon beim letzten Mal nicht funktioniert. Das wollen unsere Kunden nicht. Das können unsere Mitarbeiter nicht.“ Diese Killerphrasen hört jeder, der in einem deutschen Unternehmen etwas Ungewöhnliches vorschlägt. Trotzdem behauptet gefühlt jedes Unternehmen, besonders innovativ zu sein oder zumindest bald zu werden. Gibt es eigentlich noch ein größeres Unternehmen ohne Innovation Lab? Gemessen an der Anzahl solcher und ähnlicher Initiativen müsste die deutsche Wirtschaft Innovationsweltmeister sein.

Da ist Skepsis angebracht, meinen die Autoren der Studie „Innovative Milieus in Deutschland 2019“ von IW Consult im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, für die rund 1.000 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen befragt wurden. Sie kritisieren: „Deutsche Unternehmen bewegen sich zu häufig auf ausgetretenen Pfaden. Einer relativ kleinen Speerspitze von innovativen Unternehmen steht hierzulande eine Mehrzahl von innovationsfernen Firmen gegenüber.“ Nur rund ein Viertel der deutschen Unternehmen zeichnet sich laut der Studie durch Innovationsfreude und Technologieführerschaft aus. Und in etwa der Hälfte der hiesigen Firmen werden Innovationen nicht aktiv vorangetrieben. Das Urteil der Studienautoren: „Hier fehlen vor allem Risikobereitschaft und eine Innovationskultur, die Mitarbeiter ermutigt, neue Wege zu gehen.“

Die Analyse zeigt, dass die deutsche Wirtschaft vor großen Herausforderungen steht. Zwar ist der Mittelstand mit (inkrementellen) Produkt- und Prozess-Innovationen erfolgreich, doch in den Innovationsbereichen mit hohem Potenzial für Disruption gibt es Defizite. Der Grund liegt in der Verteilung der innovativen Milieus in der deutschen Wirtschaft: Weniger als die Hälfte der Unternehmen gehört zu einem Milieu, in dem das Austesten und Überwinden von Grenzen großgeschrieben wird. Die Verteilung lässt sich in einem „Blasendiagramm“ recht eindrücklich darstellen:

Computergenerierter Alternativtext:
Innovative Milieus in Deutschland, 2019 - Anteil in Prozent aller Unternehmen 
hoch 
(Leader) 
mittel 
-w (Follower) 
gering 
(Adapter) 
Technologie- 
führer 
6% 
Konservativer 
Innovator 
4% 
Passiver 
Umsetzer 
19% 
Disruptiver 
Innovator 
19% 
åufälliger 
Innovator 
16% 
Unternehmen ohne 
Innovationsfokus 
11% 
ohne Innovationsfokus 
(Festhalten am 
Status Quo) 
unstrukturiert 
(Neues von 
anderen adaptieren) 
FuE 
(Weiter- 
entwicklung) 
Technologiefokus 
(Techn. Grenzen 
austesten) 
disruptiv 
(Grenzen 
überwinden) 
Kooperativer 
Innovator 
25% 
partizipativ 
(Innovation durch 
Kooperation) 
Innovationsprofil 
„bewahren" 
N- 1.002. | Quelle: IW Consult (2019); IW Zukunftspanel Welle 32 
Innovationsprofil 
„forschen / entwickeln / erneuern" 
, eigene Berechnungen, eigene Darstellung. 
Innovationsprofil 
„kooperieren / öffnen/ Neuland erschließen" 
BertelsmannStiftung
Die deutschen Innovationsmilieus

[toggle title=“Gesellschaftliche Milieus in Deutschland“]

Die Studie von IW Consult basiert auf einem Ansatz der Soziologie, der soziale Milieus untersucht. Traditionell wurden in der Soziologie Gesellschaften nach dem Schichtenmodell beurteilt. Doch in der Realität zeigte sich, dass dieser zu grobschlächtig ist. So gibt es in den einzelnen Schichten ganz unterschiedliche Lebensstile und Lebenswelten – getrennte Milieus. Sie sind definiert als Gruppen Gleichgesinnter mit ähnlichen Grundwerten und ähnlicher Lebensführung. Sie besitzen eine erhöhte Binnenkommunikation und grenzen sich gegenüber anderen Gruppen ab.

Die bekannteste Einteilung von Milieus in der empirischen Sozialforschung sind die sogenannten Sinus-Milieus, die auf eine für 40 Länder erhobene Zielgruppen-Typologie des Markt- und Sozialforschungsunternehmens Sinus-Institut zurückgeht. Im Rahmen der Innovationsstudie sind vor allem die Sinus-Milieus für Deutschland wichtig. Die Merkmale und Verteilung dieser Milieus wird regelmäßig über qualitative Interviews ermittelt, bei denen Personen aus unterschiedlichen soziodemographischen Segmenten der Gesellschaft befragt werden. Anschließend erfolgt die quantitative Überprüfung mittels empirischer Sozialforschung. Insgesamt geht Sinus dabei iterativ vor: Die Abfolge von qualitativen und quantitativen Analysen wird so lange wiederholt, bis sich das theoretische Modell statistisch signifikant nachweisen lässt.

Die Einteilung in Milieus erfolgt in zwei Dimensionen: Erstens die soziale Lage, also die Schichtzugehörigkeit und zweitens die ethisch-gesellschaftliche Grundorientierung. Hierbei sind die Merkmale Tradition, Modernisierung, Individualisierung und Neuorientierung wichtig. Für die Einteilung in Milieus werden Neben soziodemographische Daten (Alter, Bildung oder Einkommen) auch Wertorientierungen und Alltagseinstellungen abgefragt, beispielsweise zu Arbeit, Familie, Freizeit, Konsum und Medien.

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[toggle title=“Innovative Milieus in der deutschen Wirtschaft“]

IW Consult hat den das Sinus-Milieumodell auf das Thema Innovation in Unternehmen übertragen. Auch hierbei werden die einzelnen Unternehmen anhand von Werten und Handlungen in verschiedene Milieus eingeteilt. Genauer: Ein innovatives Milieu ist eine branchen- und größenunabhängig definierte Gruppe von Unternehmen, die sich unterscheiden – und zwar an Hand ihres Innovationserfolgs sowie ihres Innovationsprofils.

Der Innovationserfolg der Unternehmen ergibt sich aus der Anzahl der unterschiedlichen Neuerungen in den Bereichen Produkte, Prozesse, Organisation und Marketing. Erstaunlicherweise fehlt hier das Kriterium Geschäftsmodelle, denn vor allem die Unternehmen aus der Digitalwirtschaft sind mit neuartigen Geschäftsmodellen erfolgreich geworden – beispielsweise durch digitalisierte zweiseitige Märkte und Plattformen. Das Fehlen von Geschäftsmodellinnovationen als Dimension kann zu Verzerrungen in den Ergebnissen führen. Denn deutsche Industrieunternehmen experimentieren durchaus mit neuartigen Geschäftsmodellen wie „Druckluft as a Service“.

Das Innovationsprofil eines Unternehmens basiert auf sechs Dimensionen: Innovationsorganisation, -kompetenz, -kultur, interne und externe Vernetzung sowie die Wettbewerbsposition. Die Marktforscher haben mit einer vergleichbaren Methodik wie das Sinus-Institut insgesamt sieben unterschiedliche Milieus identifiziert:

  1. Technologieführer verschieben die technologischen Grenzen regelmäßig weiter nach außen – durch Forschung, Entwicklung und Patente.
  2. Disruptive Innovatoren besitzen eine große Offenheit für Neues, hohe Risikobereitschaft und eine kooperative Unternehmenskultur, die vollständig auf Innovation ausgerichtet.
  3. Konservative Innovatoren sind sehr stark in Forschung und Entwicklung und melden viele Patente an, die Unternehmenskultur ist jedoch nicht ganzheitlich auf Innovation ausgerichtet.
  4. Kooperative Innovatoren besitzen eine kooperative Unternehmenskultur, die stark auf interne Vernetzung ausgerichtet ist. Innovation entsteht hier durch interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Belegschaft.
  5. Zufällige Innovatoren haben weder eine klare Innovationsstrategie noch eine Innovationsorganisation. Innovationen sind hier eher glückliche Zufallstreffer.
  6. Passive Umsetzer sind nicht aus eigenem Antrieb innovativ, sondern reagieren lediglich auf Anregungen ihrer Kunden zur Verbesserung ihrer Produkte und Services.
  7. Unternehmen ohne Innovationsfokus betrachten Innovation nicht als wettbewerbsrelevant.

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Das Milieu der Disruptoren – wie im Silicon Valley?

Auf den ersten Blick sehen die Ergebnisse deutlich weniger schlecht aus, als es in vielen Medienberichten über die Innovationsfeindlichkeit in Wirtschaft und Gesellschaft scheint. Immerhin ist ein gutes Fünftel der Unternehmen hoch innovativ (Innovationserfolg: Leader). Doch ein Blick auf die drei Blasen oben rechts in der Abbildung von IW Consult zeigt, dass die Masse der überhaupt innovativen Unternehmen nur mittelerfolgreich sind.

Ein genauer Blick in die Ergebnisse zeigt darüber hinaus, dass ein großer Teil der hochinnovativen Unternehmen aus klassischen Branchen kommen. So stammen Technologieführer und konservative Innovatoren hauptsächlich aus Chemie, Pharma, Metall und Elektro – oft Großunternehmen. Kooperative Innovation gehören ebenfalls zum Kernbereich der deutschen Wirtschaft. Hier finden sich zahlreiche Organisationen, die unternehmensnahe Dienstleistungen im Angebot haben. Startups der Digitalwirtschaft finden sich zusammen mit anderen IT- und Tech-Unternehmen unter den disruptiven Innovatoren.

„Mit einem Fünftel kommt mir die Zahl der disruptiven Unternehmen in Deutschland ungewöhnlich hoch vor“, wundert sich Innovationsberater Jürgen Stäudtner. Er vermutet, dass dieses Ergebnis die Folge eines sehr breiten Verständnisses von Disruption ist. Clayton M. Christensen, der Theoretiker der technologischen Disruption, beklagt in diesem Interview, dass der Begriff häufig viel zu schwammig genutzt wird. Er macht klar:

Disruption beschreibt einen Prozess, bei dem ein kleines Unternehmen oft mit geringen Ressourcen ein erfolgreiches etabliertes Geschäft herausfordert. […] [Es bietet] einfachere Produkte meist zu einem geringeren Preis an. […] Es gibt aber auch disruptive Firmen, die neue Märkte schaffen, die bisher nicht existiert haben.

Christensen betont, dass nicht jede Neuerung disruptiv ist. Die meisten Innovationen verbessern entweder die Effizienz des Unternehmens oder ein bestimmtes Produkt. Aus seiner Sicht arbeitet die disruptive Innovation anders:

Sie transformiert ein Produkt, das bisher sehr kompliziert und teuer war und macht es einfacher und billiger, so dass es sich mehr und neue Kunden leisten können. Nur diese Form von Innovation führt zu echtem Wachstum. In Deutschland sehe ich da aber bisher kaum etwas.

Disruptive Innovation, staatlich geprüft?

Das soll sich in Zukunft ändern und der Staat will hier ähnlich wie bei der Unternehmensfinanzierung eine starke und aktive Rolle spielen, mit der Agentur für Sprunginnovation. Sie ist im Herbst 2019 in Leipzig gegründet worden. Bisher ist allerdings außer einigen Interviews (etwa im Deutschlandfunk, bei Spiegel Online oder mit der Technology Review) des Gründungsdirektors Rafael Laguna de la Vera noch nicht viel geschehen – kurz vor Weihnachten exisitierte noch nicht einmal eine Website.

Der Name der Agentur enthält einen Neologismus, eine deutsche Version des Begriffes „disruptive Innovation“. De la Vera: „Eine Sprunginnovation ist eine, die unser Leben verändert, wo die Welt danach nicht mehr so ist, wie die Welt vorher war.“ Als Beispiel nennt er Auto, Penicillin, Internet und Smartphone. „Man kann sich nur noch schwer vorstellen, wie man eigentlich vor diesen Erfindungen gelebt hat.“ Aufgabe der Agentur ist es, solche radikalen Neuerungen zu entdecken, zu fördern und in marktreife Produkte umzuwandeln. Denn hier hat Deutschland Defizite.

Häufig genanntes Beispiel ist das Soundformat MP3: am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen erfunden, von ausländischen Unternehmen verwertet. Ähnlich ist es mit dem Lithium-Ionen-Akku. Die grundlegenden Prinzipien sind Mitte der 1970er Jahre an der TU München entwickelt worden, marktreife Produkte kamen Jahre später aus Japan. Die Agentur für Sprunginnovationen soll solche Entwicklungen vermeiden.

Doch kann das gelingen?  Denn ganz offensichtlich mangelte es in den beiden geschilderten Fällen nicht an Erfindungsgeist. Es fehlte eher an der Fähigkeit, in der Erfindung das zukünftige Produkte, Geschäftsmodelle und Märkte zu erkennen. Denn erfinderisch sind viele Menschen, doch eine Erfindung ist noch lange keine Innovation, „die unser Leben verändert“.

Jenseits des Turbokapitalismus

Eine staatliche Agentur wird die Rahmenbedingungen kaum verändern, also weder den Mangel an Risikokapital beheben noch die Innovationsfreude in der Gesellschaft stärken. Deshalb sieht der Wirtschaftsjournalist Gunnar Sohn sehr viele offene Fragen. In einem Überblicksartikel für die Netzpiloten lässt er Skeptiker und vorsichtige Optimisten zu Wort kommen. Zusammengefasst empfehlen er und seine Gesprächspartner einen anderen Weg als den Turbokapitalismus im Stile des Silicon Valley.

Richtig, wir sind hier nicht im Silicon Valley (und auch nicht in Shenzhen). Eine Übertragung der dort gemachten Erfahrungen ist fast unmöglich, denn es gibt hier hierzulande weder die mentalen noch die gesellschaftlichen Voraussetzungen. Gefragt ist letztlich ein Weg zu disruptiven Innovationen, der die kulturellen, sozialen, ökonomischen und politischen Besonderheiten Deutschlands in Rechnung stellt. Das sagt sich einfacher, als es zu leisten ist. Rafael Laguna de la Vera wird hier noch manche Nuss zu knacken haben.

Denn unter anderem ist Deutschland auch das Land, das regelmäßig Zukunftsindustrien vor die Wand fährt. Vor zehn Jahren war es die Solarindustrie und im Moment die Windkraft, ein weiteres Opfer unsinniger Regulierungen. Ist man Verschwörungstheoretiker, wenn man hier den Einfluss von Lobbyisten vermutet? Das setzt sich auch in der EU fort, denn die neuen Einschränkungen von Assistenzsystemen in Autos sinf auffällig genau an den aktuellen Entwicklungsstand bei den europäischen OEMs angepasst.

Anders gefragt: Wollen die politischen und wirtschaftlichen Akteure in Deutschland überhaupt Innovationen, die zum Aufbau von neuen Industrien führen könnten – und zum Abbau der vorhandenen? Möchten sie nicht viel lieber so weitermachen wie bisher? Es gibt zu viele Hinweise, dass die Antwort „Ja“ lautet.

Bildquelle: wowinside / Adobe Stock

Die Gigafactory IV kommt

Der Chuck Norris der Tech-Branche hat zugeschlagen:

Was wirklich passiert ist: Elon Musk hat höchstpersönlich den Preis einer Autozeitung entgegengenommen, für das Model 3. In einem Nebensatz verkündete er, dass die Gigafactory 4 bei Berlin, auf der grünen Wiese in Brandenburg gebaut wird. Etwas später präzisierte Musk dann per Twitter: Dort werde unter anderen das Model Y gebaut und Ende 2021 soll es mit der Produktion losgehen. Von etlichen tausend Arbeitsplätzen war die Rede und tatsächlich sind bereits Stellenausschreibungen für Brandenburg auf der Tesla-Website zu sehen.

Eine Bauzeit von zwei Jahren ist recht optimistisch, schließlich sind wir hier nicht in China. Dort betrug die Bauzeit der Gigafactory 3  gut zehn Monate. Im Moment beginnt dort der Produktionstest für das Model 3 und möglichst schnell soll die Massenproduktion für den chinesischen Markt anlaufen. Doch Elon Musk wird sich der deutschen Eigenheiten bewusst sein. Darauf weist auch das milde Lächeln bei dem Satz hin, dass seine Fabrik ein wenig schneller als der Berliner Flughafen eröffnet werden müsse. Das mag so sein, wenn die Politik ihre Hausaufgaben gemacht hat. Es ist sicher sinnvoll, dass der nicht mit Industrieansiedlungen verwöhnte Flächenstaat Brandenburg ein möglichst rasches Genehmigungsverfahren für den Bau anstrebt.

Jenseits der Bedenkenträgerei

Eine Industrieansiedlung in dieser Größe, noch dazu im Einzugsbereich von etlichen Bundesländern mit hoher Arbeitslosigkeit, sollte eigentlich Grund für Euphorie sein. Doch eine typisch deutsche Reaktion kommt sofort: Zynismus. Das“Goldene Fass“ in diesem Genre gebührt dem Journalistenkollegen Stefan Laurin. Er verbreitete bereits wenige Stunden nach der Preisverleihung über Facebook eine dystopische Entwicklung, die er später noch ausmalte:

Vielleicht schon heute werden sich die ersten Bürgerinitiativen gegen den Bau gründen. Umweltverbände, die gegen die Fabrik klagen, werden sich ebenfalls finden. Irgendein Käfer, den heute noch niemand kennt und der für das Überleben von Grünheide und für Mutter Erde von existenzieller Bedeutung ist, wird sich schon finden. Und dann sind da noch das Klima, die Bodenversiegelung, die Lärmbelastung durch die Fabrik, die Belastungen bei ihrem Bau, die Gentrifizierung durch den Zuzug von Ingenieuren, die Ausbeutung der Tesla-Arbeiter, der Kapitalismus und irgendwas mit Frieden. […]

Musk weiß nicht, worauf er sich eingelassen hat: In fünf Jahren, wenn er vor einem Oberverwaltungsgericht um die Genehmigung des Baus der Abbiegespur kämpft, die dafür nötig ist, dass er die Zufahrtsstraße bauen darf, die zu dem bis dahin längst besetzten Grundstück führt, auf dem irgendwann seine Fabrik entstehen soll, wird er den gestrigen Tag verfluchen.

Quelle: Die Salonkolumnisten

Leider habe auch ich den erfahrungsgesättigten Eindruck, dass Laurin nicht ganz falsch liegt und dieses ziemlich düstere Szenario nicht vollkommen unwahrscheinlich ist. [Update 16.11.2019 10:40] Die ersten Anti-Tesla-Truppen ziehen sich zusammen.

So ist es also: Wir haben uns an die Unbeweglichkeit unserer Gesellschaft und unseres Staates, an die Technikfeindlichkeit vieler Leute, an das ewige Genörgel, die dauernde Bedenkenträgerei, die elende Suche nach dem Haar in der Suppe schon so gewöhnt, dass wir direkt mit Zynismus reagieren. Wir halten es für wahrscheinlich, dass hier eine neue Investitionsruine entsteht, ein neuer Sarg für Steuermilliarden – als Folge einer unübersichtlichen Gemengelage aus Partikularinteressen, gesetzlichen Regelungen und der Not-In-My-Backyard-Mentalität mittelalter Nörgelbürger aus Anti-Windkraft-Vereinen. OK, Boomer.

Jenseits des Zynismus

Neben dem brandenburgischen Ministerpräsidenten freut sich immerhin der Elektroauto-Unternehmer Günther Schuh über die Initiative von Elon Musk.

Tatsächlich ist die Entscheidung für Deutschland logisch: Hier gibt es jede Menge erfahrene Leute vom Facharbeiter bis zum Ingenieur, Synergien mit deutschen Mittelständlern aus Maschinenbau und Automatisierungstechnik und es ist denkbar, dass ein Tesla „Made in Germany“ ein europaweiter Verkaufsschlager wird.

Außerdem gibt es gerade in Deutschland viele kaufkräftige SUV-Fans, an die sich das Modell Y in erster Linie richtet. Es ist recht gut auf den deutschen und europäischen Markt zugeschnitten. Obwohl sich der Blick der SUV-Gegner immer auf Schlachtschiffe wie X7 oder Q7 richtet, verkaufen sich diese Brummer eher schlecht. Kompakt-SUVs dagegen sind die Autokategorie mit den größten Wachstumsraten – Elon Musk wird das berücksichtigt haben. (Am Rande bemerkt: Elon Musk ist das, was Rheinländer „positiv bekloppt“ nennen, also das völlige Gegenteil von dumm.)

Zum Schluss noch eine Auswahl an kritischen und begeisterten Kommentaren zur Gigafactory Berlin-Brandenburg:

Dass sich Musk ausgerechnet das Mutterland des Automobils als neuen Standort ausgesucht hat, spricht für das Selbstbewusstsein des Unternehmers. Er scheut nicht die Konkurrenz der etablierten deutschen Autobauer, er greift sie sogar unmittelbar an.

Don Dahlmann, Gründerszene

Musk macht in jüngster Zeit nicht mehr mit Eskapaden von sich reden, sondern mit Fortschritten im Geschäft. Tesla meldete gerade zum ersten Mal seit einigen Quartalen wieder einen Gewinn und gab dabei auch Anlass zur Hoffnung, profitabel bleiben zu können.

Roland Lindner, F.A.Z.

War Tesla für die deutschen Autobauer anfangs ein belächelter Gernegroß und alsbald ein ernstzunehmender Wettbewerber, dürfte sich die Sache jetzt umkehren.

Henrik Böhme, Deutsche Welle

Musk ist bekannt für seinen unermüdlichen Einsatz. Und den fordert er auch von seinen Leuten. Dabei ist ihm egal, ob es sich um Kolleginnen aus dem Topmanagement oder vom Fließband handelt.

Anne-Katrin Schade, Zeit Online

Spektakuläres Ende dieser Geschichte war, dass DeLorean beim Drogenschmuggel gefilmt wurde. Schließt sich hier ein Kreis zum Kiffer Elon Musk?

Kevin P. Hoffmann, Tagesspiegel

Industrie 4.0: Kostensenker vs. Innovatoren

  • Bereits 2014 hat die Staufen AG den ersten Industrie 4.0 Index erhoben. Damals wusste In den Unternehmen kaum jemand etwas mit dem Thema anzufangen. Doch seitdem ist er kontinuierlich gestiegen - Industrie 4.0 setzt sich durch.

Vielleicht ist es ja Übersättigung, denn seit Jahren ist von nichts anderem als Digitalisierung, Internet der Dinge und Industrie 4.0 die Rede. Da es ist dann schon erstaunlich, dass die strategische Bedeutung der Digitalisierung in den deutschen Chefetagen sinkt – eines der Ergebnisse der Studie „Digitale Transformation 2019. Die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen“ der Digitalisierungsberatung Etventure. Bei der Vorgängerstudie im letzten Jahr nannten noch rund zwei Drittel (62%) der befragten Großunternehmen die digitale Transformation als eines der drei wichtigsten Unternehmensziele, in diesem Jahr waren es nur noch etwa die Hälfte (54%).

Doch statt Überdruss könnte es auch einen anderen Grund haben, wie die Autoren der Studie vermuten: Die Selbstberuhigung mit den Gedanken „Es wird schon nicht so schlimm“ oder „Wir sind doch Weltmarktführer“. Wer sich mit Digitalisierung intensiv beschäftigt, weiß genau: Das schützt vor nichts, siehe Nokia und Kodak. Die digitale Transformation sollte also im Denken der Unternehmenslenker eine hohe Bedeutung haben.

Die Industrie 4.0 ist angekommen – aber noch nicht überall

Etventure untersuchte in seiner Studie die Wirtschaft in der ganzen Breite und befragte dafür zur Hälfte Dienstleistungsunternehmen und nur zu einem Drittel Firmen aus Industrie und verarbeitendem Gewerbe. Ein etwas detailreicheres Bild malt der „Deutsche Industrie 4.0 Index 2019“ der Unternehmensberatung Staufen. So gehören die Firmen der drei deutschen Schlüsselbranchen Maschinenbau, Elektrotechnik und Automobil zu den erfolgreichen Digitalisierern der deutschen Wirtschaft. Der Index und damit die Verbreitung von Industrie-4.0-Konzepten steigt seit Jahren. (Siehe die Slideshow am Beginn dieses Beitrags)

Das wichtigste Ergebnis: Jedes zweite Industrieunternehmen aus den Fokusbranchen setzt auf die Smart Factory und andere Elemente aus der Industrie 4.0. Die größten Fortschritte bei der Digitalisierung hat die Elektroindustrie gemacht: Mehr als zwei Drittel der Unternehmen setzen auf die Smart Factory. Der Maschinenbau ist nur wenig zögerlicher. Schlusslicht ist die Automobilindustrie, in der weniger als jedes zweite Unternehmen Industrie 4.0 umsetzt. Dieser Wert ist gegenüber der Untersuchung von 2018 sogar zurückgegangen. Auch hier wird also die Krisenstimmung deutlich, die aktuell in der Automotive-Branche herrscht.

Doch die grundsätzlich positiven Ergebnisse bedeuten nicht, dass Deutschland jetzt plötzlich zum Superstar der digitalen Transformation geworden ist. Denn die Ergebnisse der Staufen-Studie zeigen deutlich zwei sehr wichtige Eigenheiten des Deutschland-Modells der Digitalisierung. So geht es in erster Linie um Effizienz und bei der Umsetzung sind die Unternehmen zu vorsichtig, sie verwirklichen in großer Mehrheit lediglich Pilotprojekte. Diese beiden Besonderheiten werden übrigens von anderen Studien bestätigt – mehr dazu in den jeweiligen Abschnitten.

Der deutsche Dreisprung: Effizienz, Transparenz, Kostensenkung

Nach den Motiven für die Digitalisierung gefragt, nennen deutsche Industrieunternehmen seit Jahren dieselben Dauerbrenner: Sie möchten die interne Effizienz steigern, mehr Transparenz in ihren Prozessen erreichen und natürlich die Kosten senken. So auch wieder beim Industrie 4.0 Index für 2019. Auch diesmal geht es zwei Drittel bis drei Viertel der Firmen um genau diese Themen.

Dies ist auch ein wichtiger Grund dafür, dass der erst zum zweiten Mal erhobene Teilindex für Smart Business branchenübergreifend gesunken ist. Auch Staufen kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass das Interesse an neuen Geschäftsmodellen eher mau ist. Nur ein Fünftel der Unternehmen bietet seinen Kunden smarte, vernetzte Produkte und Services an. Die Innovatoren in den Unternehmen werden offensichtlich von den Kostensenkern ausgebremst.

Dazu passen die Ergebnisse der IDC-Studie „Industrial IoT in Deutschland 2019/2020„. Dementsprechend setzen ein Viertel der Unternehmen aus der Industrie und den industrienahen Branchen erste IoT-Projekte um. Dabei sind Unternehmen aus der Industrieproduktion am weitesten fortgeschritten. Bei ihnen steht allerdings die Optimierung im Vordergrund: Die zwei wichtigsten Gründe für das Industrial IoT sind Kostenreduzierung (40%) und die Verbesserung von interner Effizienz und Produktivität (35%).

Die deutsche Vorsicht: Lieber noch ein Pilotprojekt

Auch wenn sich eine große Zahl der Unternehmen mit Themen wie Digitalisierung, Industrie 4.0 und Industrial IoT beschäftigt: Komplett neue Geschäftsmodelle (4%) oder die vollständige operative Umsetzung der Smart Factory (8%) sind selten. Stattdessen ist die Szene beherrscht von Einzelprojekten, die bereits seit Jahren einen großen Teil der Industrie-4.0-Initiativen ausmachen.

Besonders deutlich wird dies beim Thema Smart Factory: Jedes zweite Unternehmen hat entsprechende Projekte im Angebot. Vor vier Jahren waren es noch ein Drittel. Zudem wird fleißig entwickelt: Ein Drittel der Unternehmen entwickelt aktuell smarte Produkte oder Services und weitere 10 Prozent testen gerade ihre Entwicklungsergebnisse bei den Kunden. Bei der Umsetzung hapert es allerdings, die auf breiter Front genutzte Smart Factory ist für mehr als 90 Prozent der Unternehmen noch Zukunftsmusik.

„Trotz der vielen Pilotprojekte kommt es nur sehr selten zu einer konkreten Anwendung im Unternehmen. Den Firmen gelingt es nicht, die Projekte nach der Testphase zügig in den Arbeitsalltag zu integrieren.“ Diese Aussage stammt aus einer internationalen McKinsey-Studie zum Digital Manufacturing. Interessant dabei: Unternehmen aus den traditionellen Branchen in allen Industrienationen haben diese Schwierigkeit, nicht nur die deutschen. Das lässt den Schluss zu, dass die Probleme auch der hiesigen Unternehmen eher an den Strukturen und weniger an der Mentalität liegen.

So geht’s: Erst nachdenken, dann digitalisieren

Der Staufen-Index zur Industrie 4.0 zeigt deutlich: Da die Digitalisierung in erster Linie Prozesseffizienz erreichen soll, haben die Endkunden noch vergleichsweise wenig von den Bemühungen. Das zeigt sich beispielsweise In der Autobranche beim sogenannten Connected Car – die OEMs bieten im Moment nur erste Ansätze. Verglichen mit dem Bordcomputer und der Systemsoftware eines Tesla wirkt das unausgereift.

Doch es gibt auch das genaue Gegenteil, nämlich die bewusstlose Digitalisierung von allem und jedem – vom Spielzeug-Teddy mit Sprachnachrichten-Funktion bis hin zum Toaster, bei dem sich der Bräunungsgrad per App einstellen lässt. „Hört auf, alles um jeden Preis zu digitalisieren“, fordert der Software-Unternehmer Amir Karimi in einem Blogbeitrag für mobilbranche.de. „Stattdessen sollte die Frage wieder im Mittelpunkt stehen, wie (und wem) Digitalisierung einen Mehrwert bringt.“

Er kritisiert hier Unternehmen, die zwar digitalisieren, aber vorher nicht nachdenken. Viele smarte Produkte und Services machen nur wenig Sinn und bringen den Kunden nichts. Bei vernetztem Spielzeug gibt es sogar mehr Sicherheitsprobleme als Spielspaß. Karimi stellt die auf Digitaleuphoriker ketzerisch wirkende Frage: „Bis zu welchem Grad muss ein Unternehmen digital werden?“ Seine Antwort: „Ein Bewusstsein für die Werte, die strategische Ausrichtung und die Belastbarkeit des eigenen Unternehmens sorgen für eine gesunde Dosis der Veränderung.“

Hidden Champions gibt es auch in der Industrie 4.0

Aus dieser Sicht relativiert sich auch die gemächlich wirkende Digitalisierungsgeschwindigkeit in der deutschen Industrie. Denn hinter den zahllosen Einzelprojekten und den wenigen smarten, vernetzten Produkten und Services verbirgt sich eine wachsende Wirtschaftsmacht – die digitalen Hidden Champions, wie sie Hermann Simon in einem Aufsatz für den aktuellen Harvard Business Manager nennt.

Simon erkennt den Industriesektor, also die B2B-Märkte, als große Chance für die deutsche Wirtschaft. Hier können sie ihre Erfolgsgeschichte auch in Zukunft fortsetzen. Der Grund: Silicon-Valley-Unternehmen sind blind für Nischenmärkte. Denn genau darum handelt es sich bei den digitalen Märkten für industrielle Prozesse. Sie zeichnen sich durch eine höhere Komplexität als B2C aus sowie durch ein äußerst spezialisiertes Know-how. Simon: „Am Markt ist dieses Wissen kaum verfügbar, es steckt in den Köpfen der Mitarbeiter jener Unternehmen, die auf solche Prozesse spezialisiert sind.“

Der entscheidende Vorteil der klassischen Hidden Champions ist für Simon ihre Kundennähe. Sie kennen sich sehr gut mit der Wertschöpfungskette ihrer Zielgruppen aus und können mit neuen, digitalen Lösungen echten Kundennutzen schaffen. Darüber hinaus haben sie die kalifornische Lektion gelernt: Sie setzen nicht nur auf inkrementelle Verbesserungen, sondern auf „Sprunginnovationen“ – also fundamentale, disruptive Veränderungen.

Das Know-how der Mittelständler macht den Unterschied

Für Simon hat die Digitalisierung ein spezielles Merkmal: Die B2B-Kunden der deutschen Mittelständler wissen häufig selbst nicht, was sie von der Digitalisierung erwarten können oder was diese bewirken kann. Hier greift die Stärke der digitalen Hidden Champions. Sie sind sehr gut darin, Kundenbedürfnisse und Technologie zur Übereinstimmung zu bringen. Dies kann zu Entwicklungskooperationen, Ökosystemen oder im Einzelfall sogar zu einer Fusion führen. Das beste Beispiel dafür ist der Automatisierungsexperte und Maschinenbauer Grohmann Engineering aus Prüm in der Eifel. Er heißt heute Tesla Grohmann Automation und ist am Aufbau der Gigafactories beteiligt.

„Die klare Überlegenheit von Hidden Champions rührt daher, dass sie nicht nur einen Wettbewerbsvorteil besitzen, sondern gleich mehrere“, betont Simon. Dazu gehören Produktqualität, Wirtschaftlichkeit, Service und Lieferpünktlichkeit, aber auch Systemintegration, Benutzerfreundlichkeit und Beratung. Letztlich handelt es sich dabei um Merkmale, die in der Kompetenz der Mitarbeiter wurzeln, so Simon. Dies könne weder im Silicon Valley noch in China nachgeahmt werden.

Die stark digitalisierten Hidden Champions sind beispielgebend für den gesamten deutschen Mittelstand sowie die großen Familienunternehmen. Sie sollten den Fokus auf Innovation richten und die Zwischenphase der Prozessoptimierung und Kostensenkung möglichst rasch verlassen. Dann wird auch der Staufen-Index für Smart Business im nächsten Jahr ähnlich stark ansteigen wie der für die Smart Factory.

Bildquelle:  chiradech / Adobe Stock

Slideshow: © Staufen AG

Offenlegung: An der hier vorgestellten Studie „Deutscher Industrie 4.0 Index 2019“ war ich als Redakteur beteiligt. Dieser Blogbeitrag ist von der Staufen AG weder beauftragt noch bezahlt worden.

Elektrisierend: Der neue VW ID.3

  • © Volkswagen AG
    Der neue VW ID.3 ist da.

Daran habe ich nicht geglaubt: Dass es ausgerechnet einem der größten und (Halten zu Gnaden) von außen komplett einbetoniert wirkenden Konzerne — der Volkswagen AG — gelingt. Nämlich ein Auto der Kompaktklasse zu bauen, das auf Augenhöhe mit Tesla ist; wenigstens auf Zehenspitzen. Natürlich käme es für eine endgültige Bewertung auf einen mehrwöchigen Praxistest an. Mein Erkenntnisse sind zu 100 Prozent theoretisch und gewonnen aus der Auswertung diverser YouTube-Videos und Presseberichte.

Innen ein Passat, außen ein Golf

Von außen wirkt der Wagen modern und elegant, obwohl er eine kurze und auf den ersten Blick etwas knubbelig wirkende Fronthaube hat. Er erinnert damit ein wenig an einen Kompaktvan. Der Wagen ist in etwa so lang wie ein Golf (4,26 m), hat aber dank der verkürzten Front einen deutlich größeren Radstand von 2,77 Metern — was nach Auskunft von Kennern einem Passat entspricht.

Dadurch wirkt der Wagen wie ein quantenphysikalisches Wunder: Er ist innen größer als außen. Das liegt an den üblichen Relationen von Autos der Jetztzeit. Sie sind nämlich insgesamt sehr pausbackig, da die ganze Bordelektrik mit Zillionen Stellmotoren, Knautschzonen und Aufpolsterungen für Airbags und Soundsysteme schließlich untergebracht werden müssen. Das vergrößert die Wagen enorm und der Innenraum wächst nicht mit. Die geringe Größe von Elektromotoren sowie das niedrige Volumen der Zusatzaggregate erlauben deshalb einen deutlich größeren Innenraum bei gleichen Außenmaßen.

Eine weitere Van-Anmutung bewirken die Akku-Packs im Boden. Sie bedingen eine etwas erhöhte Sitzposition, die beim ID.3 allerdings zu einer recht geringen Kopffreiheit führt. Hier hätte VW noch ein paar Zentimeter hinzulegen können. In YouTube-Videos von der IAA war zu sehen, dass Leute meiner Größe (1,91 m) so gerade eben hineinpassen. Meinen Schwager (2,04 m) möchte ich eigentlich nicht im ID.3 sitzen sehen …

Die techno-spartanische Revolution geht weiter

Der Instrumentenbereich ist scheinbar karg eingerichtet. Doch das hat seinen Grund, denn erstens steigt die Anzahl der Funktionen in einem Auto. Dadurch wird die herkömmliche Bedienung über eine Batterie an Knöpfen, Schaltern und Hebeln immer undurchschaubarer. Zweitens ist die Vielzahl der Bauteile schlicht ein Kostenfaktor. Sie müssen eingekauft, Löcher und Verkabelung montiert werden und nicht zuletzt vervielfältigt sich der Montageaufwand durch Konfigurationsoptionen.

Die Vielfalt der Funktionen und Ausstattungsvarianten lässt sich über einen Touchscreen viel leichter abbilden. Per Software kann ohne Kostenaufwand ein Knöpfchen hier oder ein Slider da eingeblendet werden. Darüber hinaus ist es auch möglich, Funktionen jederzeit nachzurüsten. Tesla hat’s vorgemacht, die Benutzeroberfläche des großen Touchscreens in der Mitte hat sich von Versionssprung zu Versionssprung deutlich verändert. Das gibt den Herstellern die Möglichkeit, aus Feedback zu lernen und dabei Verbesserungen sofort allen Kunden verfügbar zu machen.

Software-basierte Instrumentierung wird sicher bald zum Standard in allen Fahrzeugklassen gehören. Zwar kostet auch deren Entwicklung Geld, doch sie ist deutlich flexibler. So ist es möglich, ein Autobetriebssystem zu schaffen, dass für alle Autoklassen vorbereitet ist. Dann unterscheidet sich der Kleinstwagen vom Oberklasse-Flaggschiff auf Seiten der Software nur durch die im „Build“ verwirklichten Funktionen. Und tatsächlich: VW konzipiert zur Zeit ein einheitliches Car-OS, das in allen Modellen aller Marken eingesetzt werden soll.

Die richtige Reichweite für den typischen Fahrer

Praktisch für die Kalkulation des Autokaufs: Den ID.3 gibt es mit gestaffelten Akkugrößen und deshalb auch Staffelpreisen. VW gibt Kapazitäten von 45, 58 und 77 kWh für Reichweiten von 330, 420 und 550 Kilometern an. Sie werden mit dem halbwegs realitätsnahen WLTP-Zyklus bestimmt. Erfahrene Elektroautofahrer sagen, dass diese Angaben allerdings nur dann realistisch sind, wenn der Fahrer ganz entspannt unterwegs ist, etwa auf der Autobahn mit wenig mehr als 100 km/h.

Außerdem hängt die Reichweite auch von der Effizienz der Elektromotoren und der Leistungsentnahme aus den Batterien ab. Das Tesla Model 3 gilt hier als vorbildlich und kann dies auch in der Praxis beweisen: Elektroauto-Pionier Holger Laudeley schafft es, mit seinem Tesla ohne Ladestopp von Bremen nach Berlin zu fahren, indem er mit gemütlichen 90-100 km/h ganz rechts einem Lkw „hinterherökologisiert“. Es bliebe sogar noch genügend Restkapazität übrig, um eine Sightseeingtour durch Berlin zu fahren.

Der kleinste Akku eignet sich für budget-bewusste Wenigfahrer, die das Auto nur selten und über nicht so lange Strecken bewegen. Mal ehrlich: Dieses Nutzungsszenario trifft auf mindestens 90 Prozent aller Autobesitzer zu. Doch auch Pendler sind mit dem Einstiegsmodell gut bedient, eine Tagesleistung von 200+ Kilometern ist drin. Wer jetzt noch zu Hause und am Arbeitsplatz laden kann, hat im laut VW unter 30.000 Euro liegenden Einstiegsmodell eigentlich das ideale Elektroauto. Durch die serienmäßig verfügbare Schnellladung mit 100 Kilowatt sind auch längere Strecken möglich, erfordern aber ein paar Ladestopps mehr als mit dem größten Akku.

Die deutsche Krankheit: Morbus Pretiosa Configuratio

Die deutschen OEMs sind die Weltmeister der verdeckten Preisexplosion. Gerne bewerben sie die Preise der Einstiegsmodelle ohne zusätzliche Pakete und Optionen. Das sieht dann ganz ordentlich und mittelklasse-artig aus. Doch das böse Erwachen kommt, wenn man ein bisschen Komfort, den ein oder anderen Assistenten und ein paar Sicherheitsmerkmale möchte. So ist es auch beim ID.3, viele Komponenten gibt es nur gegen Aufpreis, einige davon sind sogar unerlässlich für das richtige Elektroauto-Feeling.

So besitzt die Serienversion des ID.3 zwar einen Wärmetauscher, aber keine Wärmepumpe — die ist nur zusätzlich zu buchen. Der Unterschied: Der Tauscher führt Wärme ab, die Pumpe beherrscht auch die Gegenrichtung und kann den Akku vorwärmen. Ein Akkumanagement mithilfe von Wärmepumpen ist ideal. Der Grund: Stromaufnahme und -entnahme am Akku sind nur in einem engen Temperaturbereich optimal. Die Wärmepumpe führt die bei schneller Fahrt und schnellem Laden entstehende Wärme ab und temperiert den kalten Akku im Winter vor. Zudem ermöglicht sie auch eine effiziente Innenraumheizung, die nicht rein elektrisch ist und das Bordnetz belastet.

Eine Wärmepumpe hat zudem den Vorteil, dass die hohen Geschwindigkeiten des DC-Ladens in jeder Situation ausgenutzt werden können. Denn Leistungseinbrüche gibt es ohne dieses Gerät nach schnellen oder langen Fahrten sowie nach Kurzstrecken bei winterlichen Temperaturen. Gut, das sich VW bei dieser Technologie an Tesla orientiert hat; schlecht, das es die Wärmepumpe nur gegen Aufpreis gibt. In der Praxis wird sich zeigen, wie gut der Wärmetauscher arbeitet oder ob es wie beim Nissan Leaf 2 zu Problemen auf längeren Fahrten mit mehreren Ladestopps kommt — dort bricht die Ladeleistung mit jedem Stopp immer weiter ein.

Motorleistung: Ausreichend in jeder Situation

Ungewöhnlich für VW ist die einheitliche Motorisierung der drei Varianten. So gibt es ausreichende 150 PS (110 kW) mit beeindruckenden 310 Newtonmetern Drehmoment. Zum Vergleich: Der in der Leistung vergleichbare 1,5 l TSI-Motor bringt in einem Golf mit Doppelkupplungsgetriebe etwa 250 Newtonmeter bei optimaler Drehzahl. Auch die Beschleunigung des Elektroautos ist besser, die Version mit 77 kW Akku ruft enorme Leistung ab und bringt es in 7,5 Sekunden auf 100 km/h. Der TSI braucht fast eine Sekunde mehr.

Doch bei Elektromotoren ist die Frage nach der Leistung im Grunde überflüssig, sie ist normalerweise in jeder Situation ausreichend. Cool ist allerdings das bei Elektromotoren sehr hohe und praktisch direkt nach dem Anrollen wirksame Drehmoment. Normalerweise schlägt ein Elektroauto beim Ampelstart jedes Verbrennerfahrzeug mit gleicher Leistung und zwar völlig problemlos. Und seien wir (wieder einmal) ehrlich: Schon geil, dass man mit dem Tesla Model 3 Perfomance eine Endgeschwindigkeit von 261 km/h erreicht – aber wo sollte man so schnell fahren und warum?

Ebenso ungewöhnlich für VW ist der Heckantrieb. Doch dieses Antriebskonzept hat in einem Elektroauto erhebliche Vorteile. Es erlaubt erstens die kurze Front bei großen Innenraum und zweitens ein vergleichsweise sportliches Fahrverhalten — ein Praxistest müsste aber die theoretische Aussage prüfen. Auch im Winter sollte der Heckantrieb wegen der Motorposition an der Hinterachse unproblematisch sein, zumal die Zusatzaggregate vorne liegen und die Straßenlage verbessern. Zum Vergleich: Fahrer von Teslas mit Heckantrieb berichten von einem völlig problemlosen Fahrverhalten bei Schnee.

Wenn der Riesentanker eine Heckwende macht

Der ID.3 ist ein Fahrzeug der Golfklasse und richtet sich damit an durchschnittliche Autofahrer(innen) mit einem durchschnittlichen „Use Case“. Er ist aufgrund seines großen Innenraums und des normal dimensionierten Kofferraums ein guter und bequemer Familienwagen für bis zu vier Personen. Außer für Vielfahrer und Langstreckenpendler sollte die Basisversion mit der geringsten Reichweite ausreichen, aber im Alltag kaufen die meisten Leute lieber einen Sicherheitspuffer dazu. Sie fahren also eigentlich zu groß dimensionierte Autos. Das wird beim ID.3 nicht anders sein.

Dem Volkswagen-Konzern ist es gelungen, ein wirklich gutes Elektroauto auf den Markt zu bringen. Es befriedigt die Erwartungen und Wünsche der heutigen Autofahrer, berücksichtigt die Besonderheiten von Elektroautos und weist in die Zukunft — etwa durch den Einsatz von Touchscreens, Head-up-Displays und berührungsaktiven Knöpfen (wo es sie überhaupt noch gibt). Weder bei der Ausstattung noch bei der Reichweite müssen die Käufer große Kompromisse eingehen.

Doch wird der Wagen auch ein Verkaufsrenner? Das ist schwer vorherzusagen, denn die Preise sind schon ganz ordentlich. So wird für eine Vollausstattung mit großem Akku vermutlich ein Preis jenseits der 50.000 Euro fällig. Hier befindet sich VW in Tesla-Dimensionen, das Model 3 Performance kostet ohne weitere Optionen ähnlich viel. Der vergleichsweise hohe Preis ist den im Moment noch hohen Akkupreisen geschuldet, denn VW muss Zellen zukaufen, während Tesla sie selbst herstellt. Das zeigt, dass die deutschen OEMs spät dran sind. Trotz seiner hohen Qualität muss der ID.3 erst noch zeigen, ob er VW zum elektromobilen Erfolg führt.

„Ich schick mir die Daten mal nach Hause“

… sagt jeder zweite Angestellte gelegentlich, auch wenn das in Unternehmen meist verboten ist. Trotzdem: Der digitale Arbeitsplatz ist in vielen Firmen bereits angekommen, durch die Hintertür. Aber er sieht nicht so aus, wie sich das Anbieter von Lösungen für den Digital Workplace vorstellen.

Improvisation, das Umgehen von Sicherheitsbestimmungen, der Einsatz von nicht offiziell zugelassenen Apps und die Allzweckwaffe Excel bestimmen immer noch die tägliche Arbeit der meisten Angestellten in deutschen Unternehmen. Auch die verbotene Nutzung von privaten Mailkonten ist üblich. Denn oft müssen Mitarbeiter von außerhalb auf Dokumente zuzugreifen — auch wenn es dafür offiziell keine Tools gibt, oder zumindest nicht die richtigen.

Private Apps und Mailkonten als Notwehr

Etwa jeder zweite Mitarbeiter in den befragten Unternehmen einer Studie von Citrix gibt an, berufliche Dokumente an die private E-Mail-Adresse zu senden, wenn das nötig sein sollte. Und wenn die E-Mail nicht ausreicht, suchen sich Mitarbeiter eigene Wege zum Ziel, so wie die acht Prozent der Befragten, die eine persönliche Cloud nutzen. Das bedeutet den einfachen Dokumentenaustausch via Dropbox oder der Einsatz von unkomplizierten, aber privaten Apps für Termin- und Aufgabenverwaltung — inklusive aller Risiken für Datenverlust und Sicherheitsbrüche.

Die Ergebnisse der Citrix-Studie sind nicht erstaunlich. Bereits Anfang des Jahres hat der D21-Digital-Index 2018/2019 festgestellt, dass lediglich 16 Prozent der Unternehmensmitarbeiter in Deutschland über einen echten digitalen Arbeitsplatz verfügen. Was zu der Frage führt: Wie sieht ein komfortabler und effizienter Digital Workplace eigentlich aus? Die Antwort: Er befindet sich auf einer Informations- und Arbeitsplattform im internen Netz des Arbeitsgebers und führt alle Daten und Anwendungen aus dem gesamten Portfolio der Business-Software zusammen.

In der Praxis bedeutet dies, dass die Mitarbeiter ihre Arbeitsumgebung auf jedem beliebigen Gerät inklusive Smartphones vorfinden und dort eine für ihren Job notwendigen Aufgaben erfüllen können — etwa das Schreiben von E-Mails, Berichten und Präsentationen oder der Zugriff auf Geschäftsanwendungen. Kurz: Ein digitaler Arbeitsplatz integriert sämtliche sonst getrennten Anwendungen unter einer einheitlichen Oberfläche. Ein solcher virtualisierter Desktop ist die entscheidende Komponente eines modernen Arbeitsplatzes.

Digitale Arbeitsplätze machen es Mitarbeitern leichter

Der Digital Workplace unterscheidet sich erheblich von dem herkömmlichen Desktop unter Windows. Trotzdem finden sich Mitarbeiter problemlos damit zurecht, denn die wirklichen Unterschiede sind erst unter der Haube sichtbar. Alle Anwendungen inklusive des Desktops selbst werkeln im Rechenzentrum oder der Cloud. Der lokale PC dient lediglich der Anzeige des Desktops und erfüllt nur nachrangige Aufgaben. Er ist zum smarten Terminal degradiert, das vielleicht noch Daten zwischenspeichern darf, damit nicht immer die gesamte Arbeitsumgebung neu übertragen werden muss.

Solche neuartigen, IT-basierten Arbeitsformen zahlen sich für Arbeitgeber aus. In der letztjährigen IDC-Studie Future of Work zeigte sich, dass jeweils ein gutes Drittel der Unternehmen Kosteneinsparungen und Produktivitätsgewinne verzeichnet. Das klingt im ersten Moment nicht nach viel, doch in den meisten Unternehmen findet echtes — mobiles — digitales Arbeiten leider nicht statt.

Den schwarzen Peter hat hier die Geschäftsführung. Denn grundsätzlich ist laut der Citrix-Studie ein großer Teil der Mitarbeiter daran interessiert, moderne digitale Produktivitätswerkzeuge einzusetzen. So glaubt fast jeder zweite, dass diese Hilfsmittel das effiziente Arbeiten befördern und ein knappes Viertel vermutet, dass sie die Produktivität steigern. Auch die viel zitierte Technikfeindlichkeit in Deutschland gilt offensichtlich nur für eine Minderheit: 60 Prozent der befragten Arbeitnehmer sind neugierig, wenn ihr Unternehmen die vorhandene IT-Ausstattung durch neue Tools ersetzt.

Die Mitarbeiter sind weiter als die Unternehmen

„Mangelndes Interesse für neue Technologien kann man deutschen Arbeitnehmern nicht vorwerfen“, kommentiert Oliver Ebel, Area Vice President CE von Citrix die Ergebnisse der Studie. „Technologie und die Möglichkeiten, die moderne IT bietet, sehen die meisten Menschen in ihrem Privatleben. Im Job ist es dagegen immer noch oft nicht möglich, schnell ein paar Dokumente in die Cloud zu ziehen.“ Das senke die Effizienz in den Unternehmen und frustriere die Mitarbeiter.

Denn die die wollen längst etwas anderes als den klassischen Arbeitsalltag der Industrieproduktion: Laut D21-Digital-Index findet fast die Hälfte der Berufstätigen, dass zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten die Lebensqualität steigert. Zwar sind längst nicht alle Jobs dafür geeignet, aber Büroarbeit ist ohne Verrenkungen auch zu Hause zu bewältigen. Doch sehr viele Unternehmen sind der flexiblen Heimarbeit gegenüber generell kritisch eingestellt.

Typische Gegenargumente finden sich in einer Bitkom-Umfrage: Die Mitarbeiter sind nicht jederzeit ansprechbar (33%), die Arbeitszeit ist nicht zu kontrollieren (29%), die Datensicherheit ist bedroht (22%), die technische Ausstattung ist zu teuer (16%) und Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen könne sinken (9%). Eigentlich sind es keine Argumente, sondern Ausreden. Für jedes dieser Scheinprobleme gibt es eine praktische Lösung und sei es der Verzicht auf Arbeitszeitkontrolle und Anwesenheitswahn.

Digitale Leichtigkeit vs. Industriegesellschaft

Manches Hindernis wird auch durch den Regulierungswahn in Deutschland aufgebaut: Zwischen zwei Arbeitsphasen muss eine elfstündige Mindestruhezeit liegen. Das ist für den klassischen Malocher eine sinnvolle Regel. Heute führt sie aber dazu, dass jeder, der spätabends noch mal die dienstlichen Mails checkt und morgens an seinen Schreibtisch pendelt, ungesetzlich handelt – eigentlich, denn die meisten machen es halt trotzdem.

Solche Eigentümlichkeiten führen dazu, dass die meisten Arbeitgeber auf Nummer sicher gehen. Sie wollen den Angestellten bei der Arbeit sehenselbst wenn er hin und wieder lediglich „arbeitet“. Demgegenüber steht die digitale Leichtigkeit der mobilen und virtuellen Desktops. Kein Problem, auch sonntags vormittags mal eine Stunde an der schon längst überfälligen Präsentation zu feilen — wenn es denn die Familie toleriert.

Was ist besser? Das Festhalten am Taylorismus der Industriegesellschaft oder das Akzeptieren einer digitalen Arbeitswelt, die eher auf Ergebnisse als auf Anwesenheit achtet? Meiner Einschätzung nach ist der störrische Widerstand gegen Homeoffice, Mobilität und Flexibilität lediglich ein Rückzugsgefecht. Die traditionell-hierarchisch organisierten Unternehmen haben bereits jetzt verloren.

Digitalboom in China

China Internet Report 2019 herunterladen

China hat es geschafft: Es besitzt in einigen Bereichen der Digitalwirtschaft einen deutlichen technologischen Vorsprung gegenüber Deutschland und Europa.. Ob es nun um Elektromobilität, 5G-Mobilfunk oder künstliche Intelligenz geht – in China ist Realität, worüber Deutschland noch umständlich diskutiert.

Ein Beispiel: Hierzulande sind laut Statista lediglich 228 Elektrobusse unterwegs. In China dagegen fahren nach Untersuchungen von Bloomberg etwa 421.000 dieser Gefährte. Städte wie Guangzhou und Shenzhen haben inzwischen ihre gesamte Busflotte auf Elektromobilität umgerüstet. Im Moment betreiben chinesische Nahverkehrsanbieter etwa 20 Prozent der Busse elektrisch, bis 2040 sollen es 70 Prozent werden.

Chinas Digitalwirtschaft boomt enorm

Auch in der Digitalwirtschaft prescht China vorneweg, wie der China Internet Report 2019 der englischsprachigen South China Morning Post zeigt. Er bietet eine Vielzahl an interessanten Zahlen zu verschiedenen Branchen der Digitalwirtschaft und zur Internetnutzung in China. Der Bericht zeigt deutlich: Dank des riesigen Binnenmarkts skalieren beispielsweise Apps oft schneller als im englischsprachigen Raum. Darüber hinaus sind die chinesischen Entwickler durchaus innovativ und werden inzwischen häufig selbst kopiert. So zogen die superkurzen Videos von TikTok eine Welle an Nachahmern hinter sich her.

Solche Entwicklungen zeigen, dass mit China zu rechnen ist. Dabei hat das Land neben dem Binnenmarkt ein weiteren Vorteil: Als Nachzügler und ehedem unterentwickeltes Land konnte es einige technologische Zwischenstufen einfach überspringen. So bedeutet Internetnutzung in China in erster Linie mobiles Internet und eine große Mehrheit nutzt auch Mobile Payment. Die unterschiedlichen Zahlungsdienste haben etwa 583 Millionen Nutzer, was einer Verbreitung von 42 Prozent entspricht – es gab vorher kein gut ausgebautes Bankensystem. In Deutschland nutzen dagegen lediglich gut 4,1 Millionen Personen oder etwa zwei Prozent das mobile Bezahlen.

Daran zeigt sich eine Besonderheit von China: Die Bevölkerung steht technologischen Neuerungen sehr offen gegenüber. Sie interessiert sich in höherem Maße für die Sharing-Ökonomie wie beispielsweise Ridesharing. Hier gibt es zwar eine ganze Reihe von Anbietern, doch absoluter Marktführer (91 %) ist Didi Xuching. Auch Smart Speaker mit Sprachschnittstelle haben sich in einem Jahr rasant verbreitet. So wird inzwischen jedes zweite Neugerät in China ausgeliefert.

Bald haben 176 Millionen Chinesen 5G-Mobilfunk

Die deutsche Politik konnte sich trotz der desaströsen Erfahrungen mit der Versteigerung der UMTS-Lizenzen nicht zurückhalten: Auch die 5G-Lizenzen sind wieder versteigert worden, für sechs Milliarden Euro. Das bindet natürlich enorme Mengen von Investitionskapital, führt zu einer eher negativen Konkurrenzsituation und für die zukünftigen 5G-Nutzer sicher wieder mal zu überteuerten, aber schlechten Mobilfunkverbindungen.

China dagegen hat das 5G-Problem mehr oder weniger per Anweisung geregelt. Die Regierung hat die drei großen Telkos zur Zusammenarbeit bei 5G verdonnert und zahlreiche Auflagen gemacht. Dafür geht es dann recht schnell voran. Bis Ende des Jahres sollen 200.000 Basisstationen online sein, sodass in einigen Metropolregionen 167 Millionen Person potenziell Zugriff darauf haben.

Die Konsequenz: In Deutschland hat der Staat ein paar Euro, mit denen er Haushaltslöcher stopfen kann. China kann dagegen den technischen Vorsprung in Sachen 5G ausbauen. Der ist ohnehin nicht klein, denn der Telko-Riese Huawei aus Shenzhen bietet die zur Zeit technisch fortgeschrittensten und ausgereiftesten 5G-Netzwerkkomponenten an.

Der Vorsprung bei Computer Vision wächst

Künstliche Intelligenz (KI) wird in China besonders stark gefördert. Die Regierung hat dieses Thema als eines der wirtschaftlichen und technologischen Schlüsselthemen für die nächsten 50 Jahre identifiziert und entsprechende strategische Förderprogramme aufgelegt. Besonders stark ist China im Bereich Computer Vision, vor allem bei der Gesichtserkennung.

  • So wird Gesichtserkennung auf einem Bahnhof in Shenzhen zum Bezahlen genutzt. Pendler scannen ihr Gesicht auf einem Tablet am Eingang und lassen den Fahrpreis von ihrem Bankkonto einziehen. E-Commerce-Riese Alibaba hat ein Hotel, in dem sich die Zimmertüren durch Gesichtserkennung öffnen.
  • Doch auch andere Formen von Machine Learning sind im Einsatz. So bietet Alibaba die Positions- und Fahrdaten seiner Lieferfahrzeuge den lokalen Verwaltungen an, die damit die Anfahrtszeiten von Krankenwagen durch bessere Planung verkürzen.
  • Eine wichtige KI-Anwendung ist die Personenerkennung durch Kameras an allen möglichen Standorten. Sie dient einerseits der Verbrechensaufklärung und andererseits der Vorbereitung des von der chinesischen Regierung propagierten Social-Score-Systems. Dort gibt es für „vertrauenswürdiges Verhalten“ Punkte, für das Gegenteil Punktabzüge.

Wirtschaft und Regierung investieren in Zukunftsbranchen

Der Vorsprung in Sachen Gesichtserkennung liegt an der leichten Verfügbarkeit von Daten. Mangels Datenschutz und durch die hohe Verbreitung von Social-Media-Profilen mit Fotos und Videos haben chinesische KI-Entwickler Zugriff auf eine gigantische Menge an „gelabelten“ Trainingsdaten für die Entwicklung von Anwendungen.

Entsprechend investiert die Wirtschaft in China stark in KI. Der chinesische Anteil der globalen KI-Investments ist innerhalb von fünf Jahren von drei auf 14 Prozent angestiegen. Auch das Thema autonome Fahrzeuge wird stark unterstützt. So haben zahlreiche chinesische Städte ihre Straßen ganz oder teilweise für fahrerlose Autos geöffnet und verteilen Lizenzen an interessierte Unternehmen aus aller Welt.

Zwar nutzt die chinesische Suchmaschine Baidu mit ihrer KI-Tochter die Hälfte dieser Lizenzen, doch in der anderen Hälfte des Lizenzpools tauchen auch deutsche Autohersteller wie BMW, Mercedes und Audi auf. Der Grund ist ganz einfach: Während in Deutschland noch über mögliche rechtliche Probleme diskutiert wird, können die Unternehmen in China bereits Testfahrzeuge einsetzen.

Die zwei Seiten von Blendle

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Seit ein paar Monaten bin ich Blendle-Nutzer. Von der Idee war (und bin) ich total begeistert. Aber inzwischen bin ich zu einem zwiespältigen Urteil gelangt: Das Blendle-Konzept ist super, nur in der Praxis gibt es da einige Probleme. Aber der Reihe nach:

Blendle ein unglaublich toller Service, ein Pressekiosk mit Einzelverkauf der Artikel für vergleichsweise kleines Geld. Die App ist eine Lösung für ein altes Problem, denn wer liest schon eine ganze Zeitung. Auf der anderen Seite hatten viele schon immer den Wunsch, mehrere Tageszeitungen zu lesen, um sich breiter zu informieren.

Das war allerdings in der guten alten Zeit eine teure Angelegenheit. Bei Blendle dagegen werden die Kosten durch den Einzelverkauf überschaubar. Und natürlich hätte man als Abonnent von 3-4 Tageszeitungen auch nicht jeden Tag in jedem Blatt unbedingt etwas Lesenswertes gefunden. Für eilige Überschriften-Überflieger mit Termindruck im Nacken ist so ein Tageszeitungsabo schon ein enormer Luxus.

Blendle ist eine tolle App

Das ist also der große Vorteil von Blendle: Die gesamte Breite der deutschen Tages- und Wochenpresse sowie von immer mehr internationalen Blättern ist verfügbar. Anhand von Überschriften und dem ersten Dutzend Zeilen der Artikel ist im Normalfall recht gut zu entscheiden, ob sich das Lesen und die Ausgabe eines Betrages ab 15 Cent lohnt.

Und wer sich verklickt und den Artikel direkt wieder schließt, muss überhaupt nichts bezahlen. Außerdem gibt es eine sehr angelsächsisch anmutende Geld-zurück-Garantie: Wer den Beitrag wider Erwarten doch nicht gut findet, kann innerhalb von 24 Stunden sein Geld wieder zurückfordern. Das geht ganz einfach mit einem Menübefehl und ohne weitere Begründung.

Diese Möglichkeiten sind sehr praktisch und außerdem ist die Blendle-App auf der Höhe der Zeit: Elegante Gestaltung, gut lesbar dargestellte Artikel und ein responsives Design. Verzögerungen beim Laden der Artikel gibt es eigentlich nicht und auch die sonstigen Funktionen reagieren recht schnell. Das ist allerdings eher ein Randthema, denn es handelt sich in erster Linie um eine Leseapp.

Einen kleines Manko ist das Fehlen der Möglichkeit, die Schriftgröße anzupassen. Außerdem gibt es hin und wieder kleinere Mängel in der Typografie. Das wird allerdings meist an der Datenquelle eines Artikels liegen. Sie kommen wohl im Regelfall direkt aus dem Redaktionssystem und werden offensichtlich hin und wieder beim Konvertieren zerschossen.

Neben dem Lesen ist die Suche nach Artikeln eine fundamentale Funktion. Hier gibt es eigentlich wenig zu meckern. Ergänzend zur handelsüblichen Suche in der gesamten Artikel-Datenbank gibt es auch eine ausgesprochen nützliche Alert-Funktion. Hier können verschiedene Suchbegriffe definiert werden, die ständig aktuell gehalten werden. In einer übersichtlichen Registerleiste stehen alle Alerts bereit und zeigen nach dem Anklicken die gefundenen Artikel.

Ein unerwarteter Mehrwert liegt übrigens in den „ähnlichen Artikeln“, die am Ende jedes Artikels angezeigt werden: Die Funktion deckt Themen-Konjunkturen auf, also eine Situation, in der plötzlich ein Medium über ein bestimmtes Thema berichtet und nun plötzlich alle anderen auf den Zug aufspringen. Wer das Geld investiert und alle Artikel anschaut, kann sich recht gut darüber informieren, welches Medium den Vorreiter macht und welche erst später auf den Zug aufspringen.

So viel zu den zahlreichen, eindeutig positiven Seiten von Blendle. Und jetzt ein paar kritische Anmerkungen. Dabei möchte ich mich nicht mit Krittelei an einzelnen Funktionen aufhalten. Das sind Dinge, die sich sehr leicht ändern lassen und hoffentlich auch schon im Backlog der Entwickler zu finden sind – etwa die fehlenden Inhaltsverzeichnisse. Unverständlich, dass es nicht möglich ist, sich ohne lästiges Durchscrollen ganzer Ausgaben über den Inhalt zu informieren.

Deutsche Verlage verstehen Blendle nicht

Ein Problem, für das Blendle vermutlich ebenfalls nicht besonders viel kann, sind die Preise. In anderen Ländern, etwa in niederländischen oder englischen Medien, liegen die Durchschnittspreise für einen einzelnen Artikel zwischen 15 und 29 Cent. Die deutschen Preise dagegen liegen im Regelfall deutlich höher, oft bis 79 Cent. Einige Magazine verlangen pro Artikel sogar noch deutlich mehr.Sobald man beim Stöbern mehr als zwei interessante Artikel findet, macht es Sinn, die Gesamtausgabe zu kaufen. Glücklicherweise werden die in einer Ausgabe gekauften Artikel darauf angerechnet. Anders dagegen Zeitungen in den stärker digitalisierten (weil gesellschaftlich moderneren und liberaleren) Niederlanden, zum Beispiel das traditionsreiche NRC Handelsblad. Hier kosten sogar doppelseitige Artikel nur 29 Cent.

Die deutschen Preise sind für die Kalkulation eines persönlichen Etats bei Blendle eher schlecht. Ein (vereinfachtes) Rechenbeispiel: Eine Publikation kostet 1,80 Euro pro Ausgabe. Zu niederländischen Preisen lassen sich also 5 bis 12 Artikel lesen – je nach Einzelpreis. Bei zahlreichen deutschen Publikationen sind die Preise 45 oder 79 Cent, also sind nur zwei bis maximal vier Artikel drin, bevor die gesamte Ausgabe günstiger kommt.

Wer also beispielsweise zwanzig Euro im Monat bei Blendle ausgeben möchte, bekommt als Niederländer also mindestens doppelt so viele und häufig sogar dreimal so viele Artikel wie in Deutschland – klingt nach dem besseren Deal. Und das war sicher einer der Gründe für den Erfolg von Blendle in unserem digital aufgeschlossenem Nachbarland.

Ein zweites Problem: Viele Artikel, die anfangs noch hinter einer Bezahlschranke verborgen sind, tauchen nach einiger Zeit im frei zugänglichen Web auf. Bei Blendle müssen sie dann trotzdem noch bezahlt werden. Immerhin gibt es eine Möglichkeit, sein Abo in Blendle anzumelden und dadurch die Kosten für die entsprechenden Artikel zu sparen. Leider nutzen aber noch lange nicht alle deutschen Verlage diese Möglichkeit, hier wäre ein wenig mehr Engagement vonnöten.

Außerdem hat Blendle die Inhalte der deutschen Medien in der Regel nur für 30 Tage zur Verfügung, anschließend werden die Artikel zwar noch gefunden, können aber nicht mehr gekauft werden. Auch hier agieren die Niederländer digitaler: Auch Monate alte Artikel werden im Normalfall angezeigt und kosten bei einigen Medien nur noch einen Cent.

Einzelverkauf wird nicht ernst genommen

Dass in Deutschland ein einzelner Artikel teils halb so viel wie das ganze Nachrichtenmagazin kostet, zeigt deutlich die Mentalität der deutschen Pressehäuser: Sie denken immer noch in gebündelten Einheiten. Der Einzelverkauf wird nicht recht ernst genommen und ein möglicher Long-Tail-Boom durch hohe Preise und kurze Speicherfristen erstickt.

Die Frage ist, ob dies zu einer dauerhaften Bindung an Blendle führt. Gut möglich, dass sich viele Leute verschaukelt fühlen und der App dann langfristig den Rücken kehren. Das wäre schade, denn das Grundkonzept ist 100% richtig und hätte bereits vor Jahren eingeführt werden müssen: Einzelverkauf von Artikeln aller wichtigen Medien auf einer komfortablen Plattform.

Doch die vielen Umstände, die das Lesen der deutschen Medien mit Blendle bereitet, scheint darauf hinzudeuten, dass die Digitalisierung immer noch äußerst halbherzig vorangetrieben wird. Ob das reicht, um die nächsten 10-15 Jahre zu überstehen?

 

Bildquelle: © Orlando Bellini / fotolia.com

Ausbilden: Der Trick gegen Fachkräftemangel

Fotolia_61132937_XS„In der IT-Branche gibt es im Moment einen ausgesprochen lebendigen Bewerbermarkt“, sagt Catharine Hack, Personalreferentin bei der Pironet NDH AG. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Cloud Computing für mittelständische Kunden. Es bildet regelmäßig Fachinformatiker und andere IT-Spezialisten aus.

Eine Bewerbung für eine Ausbildung bei dem Unternehmen kann also für talentierte Leute mit technischem Verständnis und IT-Affinität leicht zum Erfolg führen. Umgekehrt sollte es für Pironet NDH kein Problem sein, auch die richtigen Bewerber zu finden. Catharine Hack bestätigt das: „Wir finden immer wieder ganz hervorragende Bewerber. Bei vielen wissen wir im Grunde schon von Anfang an, dass sie die Ausbildung mit Erfolg abschließen.“

Superjugendliche gesucht?

Dann folgt das große Aber: „Ein großer Teil der Bewerbungen sehen eher nach dem Gegenteil aus.“ Die Personalreferentin berichtet von E-Mails ohne jeden Text, die lediglich im Anhang einen Lebenslauf enthalten, Anschreiben mit zahlreichen Rechtschreibfehlern und Serienbriefe an ein paar Dutzend Unternehmen im CC-Feld. Und dann gibt es Bewerbungen, die deutlich machen, dass die Bewerber überhaupt nicht wissen, für welchen Beruf sie sich bewerben.

Die Liste dieser Fehler ließe sich noch lange fortsetzen. Dies ist eigentlich erstaunlich, denn allein eine Google-Suche nach den beiden Stichworten „Bewerber Ratgeber“ gibt mehr als genug Hinweise für den richtigen Aufbau einer Bewerbung, das Verhalten im Vorstellungsgespräch und vieles mehr. Es ist schwer, hier noch etwas falsch zu machen. Warum landen trotzdem so viele Kuriosa bei den Personalern?

© Syda Productions - Fotolia.com„Unserer Erfahrung nach hat das etwas mit persönlicher Reife zu tun“, meint Hack. Eine eher unreife Haltung zeige sich dann auch in den Bewerbungsgesprächen und reiche bis in die Ausbildung. Pironet NDH ist ein mittelgroßes Unternehmen, das nach eigener Auskunft sehr gerne ausbildet und sich intensiv um die Azubis kümmert, aber dafür auch etwas erwartet. Etwa den bereits makel- und tadellosen Superjugendlichen?

„Wir erwarten junge Leute, die Interesse am Beruf und an Weiterbildung mitbringen“, sagt Hack. „Wir beißen uns hier die Zähne aus, wenn wir Erziehungsmängel beseitigen müssen.“ Talent, Reife, Interesse, Weiterbildung – gefragt sind junge Erwachsene, die Fragen stellen, Eigeninitiative zeigen und mitdenken.

Doch die Zeiten in denen Auszubildende hier mal schauen und da mal anpacken dürfen, sind schon lange vorbei. „Von Auszubildenden wird heute wesentlich mehr verlangt als das früher der Fall war“, bestätigt Marko Kämmerer, Personalleiter beim Enterprise-Mobility-Spezialisten Seven Principles (7P) mit Sitz in Köln. Diese Entwicklung sei auch in der IT-Branche zu bemerken.

Offene, wenig hierarchische Unternehmenskultur

Vor allem in den letzten zehn Jahren seien in vielen Unternehmen schnellere, dynamischere Strukturen entstanden. „Das scheint die Schulen zu überfordern, Schüler werden nicht entsprechend auf diese Dynamik vorbereitet“, kritisiert Kämmerer. „Aber trotzdem sind die Bewerber deutlich besser als ihr Ruf.“

Zusammen mit den Anforderungen haben sich nach Kämmerers Erfahrung aber auch die Wünsche junger Leute an eine Ausbildung geändert. „Vor allem mittelständische Unternehmen müssen sich attraktiv präsentieren und eine offene, wenig hierarchische Unternehmenskultur bieten.“

© Marco2811 - Fotolia.comHeute sind allen Mitarbeitern – Akademikern, aber auch den Mitarbeitern in Ausbildungsberufen – Gestaltungsspielräume und Freiheitsgrade wichtig. „Das erfordert auch eine gewisse Flexibilität beim Unternehmen selbst. Wer sich öffnet, bekommt auch hervorragende Mitarbeiter.“

Die Erfahrungen von Marko Kämmerer sind mit denen von Catharine Hack zu vergleichen: Es gebe einige Bewerbungen, die dem Qualitätsanspruch von 7P nicht entsprechen, trotzdem leidet das Unternehmen nicht an Azubi-Mangel. Es bildet ebenfalls regelmäßig aus und greift dabei nicht nur auf Abiturienten zurück.

„Gymnasiasten haben einen kleinen Vorteil in Sachen persönlicher Reife, aber wir bilden auch regelmäßig Realschüler zum Fachinformatiker aus“, sagt Kämmerer. „Das Abitur ist nicht immer nötig und ein Uniabschluss auch nicht. Wir stellen zwar viele Akademiker ein, haben aber auch zahlreiche Arbeitsplätze für Facharbeiter und Nicht-Akademiker.“

Die wichtigste Quelle für Bewerber ist die Präsenz in Schulen oder Ausbildungsmessen. Die beiden IT-Dienstleister sind weder bei Lehrern noch bei Jugendlichen besonders bekannt. Das ist bei vielen mittelständischen Unternehmen so, die meisten Leute kennen bestenfalls ein Dutzend deutsche Unternehmen.

Mittel gegen den Fachkräftemangel

Doch das Ziel der Zusammenarbeit mit Schulen ist nicht, möglichst viele Bewerber zu bekommen. Beide Unternehmen setzen auf zielgerichtete Rekrutierung, auf persönliche Kontakte und auf Empfehlungen. Pironet NDH ruft die Lehrer dazu auf, talentierte Jugendliche für ein Praktikum zu nennen. 7P trifft viele Azubis über Kontakte auf Ausbildungsmessen, nutzt aber auch Stellenanzeigen in lokalen und überregionalen Portalen.

Die Ausbildung selbst ist in beiden Firmen ähnlich organisiert: Die Azubis werden möglichst rasch in Kundenprojekte einbezogen und lernen viele Arbeitsgebiete des Unternehmens kennen. Außerdem orientiert sich die Ausbildung möglichst stark an den Interessen der einzelnen Mitarbeiter.

© DOC RABE Media - Fotolia.comIn den Unternehmen werden Auszubildende intensiv betreut und möglichst optimal gefördert. Die Geschäftsführung hat sie als enorm wichtig für die Unternehmenszukunft erkannt. Beide Unternehmen betonen: Im Normalfall werden viele Azubis übernommen und anschließend mit Angeboten für die Weiterbildung und verschiedenen Karriereoptionen unterstützt.

Vorausschauende Unternehmen haben (hoffentlich) längst erkannt, dass nur eine gute Strategie zur Personalentwicklung hilft, den so genannten „Fachkräftemangel“ zu vermeiden. Er besteht nämlich weniger in einem Mangel an guten Leuten, sondern oft in einer zu geringen Sichtbarkeit der Unternehmen.

Das Rheinland ist Heimat zahlreicher großer IT-Unternehmen wie Deutsche Telekom, Vodafone, T-Systems, Computacenter, Bayer BBS und viele mehr. Sie besitzen eine enorme Zugkraft und können sich die Rosinen herauspicken, da Ausbildungen bei den IT-Riesen ein sehr gutes Image haben.

Kleinere und mittlere Unternehmen wie Pironet NDH oder Seven Principles müssen sich dagegen bei den Schülern als guter, moderner und erfolgreicher Arbeitgeber präsentieren. „Employer Branding“ heißt das heutzutage. Die Erfahrungen der Unternehmen zeigen, dass auch das Angebot einer guten Ausbildung dazugehört.

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Claas: 100 Jahre Wandelbarkeit

„Nur innovative, bewegliche Unternehmen bestehen langfristig und bleiben keine kurzlebigen Episoden“, meint Dr. Jens Möller, Geschäftsführer von Claas Agrosystems. Dieses Jahr wird die Class-Gruppe 100 Jahre alt. Doch im Interview mit „Digital Heartland“ geht es nicht um alte Geschichten, sondern um Lektionen aus der Geschichte für die Zukunft.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Möller. Claas ist dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Die übliche Frage an Hundertjährige lautet ja immer: Wie wird man so alt? Also, mit welchem Trick überlebt ein Unternehmen ein ganzes Jahrhundert?

Der Trick sind die ständige Innovation und das „immer in Bewegung bleiben“. Nur innovative, bewegliche Unternehmen bestehen langfristig und bleiben keine kurzlebigen Episoden. Bei Claas sind Innovation und Technologieführerschaft Teil der Strategie. Im Grunde gehört das zu unserer Firmenkultur, die wir sehr intensiv pflegen. Ein rein formelles Innovationsmanagement reicht nicht aus. Wer ein Neuerer sein will, muss hervorragende Mitarbeiter haben, die komplexe Aufgaben bewältigen können. class-maehdrescher

Die Mitarbeiter sind die wichtigste Voraussetzung für Innovationen?

Ja, wir hören auf die Mitarbeiter. Jeder kann Anregungen und Projektvorschläge abgeben. Jede Idee wird gehört, an allen Standorten. Die Prozesse für die Produktentwicklung sind überall gleich. Ein etabliertes betriebliches Vorschlagwesen stellt sicher, dass viele wertvolle Ideen zusammenkommen. Das sind nicht immer neue Produkte, auch viele Verbesserungen unserer Fahrzeuge stammen aus der Belegschaft, zum Beispiel aus dem Kundendienst.

Sie orientieren sich also auch an den Kunden?

Nicht nur das: Wir hören auf unsere Kunden und kennen ihre Bedürfnisse. Wir laden Kunden zu Hintergrundgesprächen ein, in denen sie auch Kritik üben dürfen. Unsere Entwickler fahren oft zu einzelnen Kunden und schauen sich die Situation vor Ort an. Sämtliche Produktmanager sind ausgebildete Landwirte mit dem notwendigen Wissen. So haben wir zum Beispiel einen Mähdrescher mit einer Straßenzulassung für 40 km/h eingeführt. Das Produkt ist speziell auf Lohnunternehmer zugeschnitten. Die fahren auf dem Weg von einem Kunden zum anderem häufig relativ lange Strecken über die Straße und sparen somit Zeit und Geld.

Mähdrescher sind ja die klassischen Claas-Landmaschinen. Aber Sie haben auch Informationstechnologie im Angebot.

Ja, inzwischen sogar sehr viel. Claas Agrosystems ist in der Claas Gruppe für Precision Agriculture verantwortlich Wir entwickeln zum Beispiel die Telemetriesysteme. Ein großer Trend sind Assistenzsysteme, ähnlich wie bei einem Auto. Dazu gehören in erster Linie Systeme zum so genannten „Precision Farming“. Dabei wird ein Fahrzeug mit Hilfe von GPS auf einige Zentimeter genau gesteuert. Das hört sich im ersten Moment etwas übertrieben an, aber auf eine große Fläche gesehen gibt es eine enorme Leistungssteigerung und Kostensenkung. Das lässt sich am besten in einem Beispiel verdeutlichen. Moderne Mähdrescher haben Schneidbreiten bis 12 Meter. Das bedeutet: Der Fahrer sitzt sechs Meter von den Seiten seines Fahrzeugs entfernt. Das präzise Lenken und gleichzeitige Bedienen der Maschine ist nicht einfach. Damit nichts stehen bleibt, fährt der Fahrer also immer mit ein wenig Versatz. Das können aber schon mal ein halber bis ein Meter sein, also auf ein Dutzend Runden leicht eine volle Fahrzeugbreite. Mit GPS beträgt der Versatz nur ein paar Zentimeter, der Fahrer spart somit Zeit und Kraftstoff.

Das hört sich aber kaum noch nach Ackerbau an. Ist ein Landwirt heute eher Techniker als Bauer?

Er ist ein ausgebildeter Profi in der modernen, von klassischer Landmaschinentechnik und Informationstechnologie unterstützten Landwirtschaft. Der Bauer mit Gummistiefel und Mistforke, der nur mit Schlepper und Hänger auf die Acker fährt – das ist ein reines Medienphänomen. Vor allem Sendungen, die auf dem Land spielen, transportieren oft ein vollkommen veraltetes Bild von der Landwirtschaft. Extrem viele Betriebe nutzen modernste Technik und lassen sich von IT-Managementsystemen unterstützen.

Aber lohnt sich das überhaupt für viele Landwirte? Sind nicht Riesenbetriebe notwendig, um solche Systeme zu nutzen? claas-traktor2

Moderne Großmähdrescher oder -traktoren benötigen eine gewisse Mindestfläche. Außerdem sind sie natürlich im Vergleich zu einfacheren Fahrzeugen teurer, aber bei einer großen Fläche lohnt sich das. Entsprechende Agrarbetriebe haben wir in Deutschland eher in den neuen Bundesländern Die Maschinen werden aber auch in Maschinenringen oder von Lohnunternehmern eingesetzt. Dadurch entstehen dann wieder ausreichend große Flächen, die mit einem Großgerät sehr effizient bewirtschaftet werden können.

Wie sieht das in anderen Ländern aus? Sind Ihre Innovationen auch weltweit anerkannt?

Wir sind inzwischen ein globales Unternehmen, aber mit deutschen Wurzeln. Die Claas Gruppe macht in Deutschland nur noch etwa ein Viertel ihres Umsatzes. Diese Internationalisierung ist eigentlich nichts Neues, wir haben uns schon immer stark auf den Export ausgerichtet. Allerdings agieren wir heute anders. Wir gehen als Unternehmen in die Großregionen wie etwa Russland und treten dort als Anbieter in diesem Markt auf. Unsere Produkte unterscheiden sich nach den Zielmärkten, denn jeder Markt ist anders. Ein gutes Beispiel ist Indien. Als wir vor 25 Jahren dort eingestiegen sind, haben wir uns die Situation vor Ort genau angeschaut. Wir haben zum Beispiel bemerkt, dass die Betriebsgrößen relativ klein sind und dort – wenn überhaupt Maschinen eingesetzt werden – Lohnunternehmer die Mähdrescher nutzen. Dabei haben wir recht schnell festgestellt, dass wir keinen geeigneten Mähdrescher im Angebot haben. Also haben wir einen entwickelt. Auf diese Weise kommt ein Unternehmen auch in einen neuen Markt. Erst werden die Grundbedürfnisse der Kunden analysiert, dann wird etwas Spezifisches und Neues gebaut. Anders kommen Sie dort nicht an.

Solche Erfolge wünschen sich viele Unternehmen. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den dauerhaften Erfolg von Claas?

Es gibt zahlreiche Gründe, aber sehr wichtig sind sicher Ausdauer und Schnelligkeit. Das kann im Grunde nur ein inhabergeführtes Unternehmen leisten, das nicht an die Berichtspflichten eines börsennotierten Unternehmens gebunden ist. claas-traktor1Den Xerion, ein so genanntes Systemfahrzeug mit Allradlenkung und -antrieb, gleich großen Rädern und drehbarer Kabine, hätte ein solches Unternehmen sicher nicht auf den Markt gebracht. Aber im Unternehmen gab es Helmut Claas, der die nötige Ausdauer hatte und das Projekt zum Erfolg geführt hat.

Ist also eine gewisse Ausdauer das Geheimnis der Innovation?

Nicht nur. Ein Unternehmen braucht viele gute Ideen und Offenheit auch für exotische (unkonventionelle) Vorschläge. Aber gute Ideen alleine reichen nicht. Irgendwann kommt ein Punkt, an dem es schwierig wird bei der Entwicklung eines Produktes. Der kommt oft. Da ist es gut, wenn an entscheidender Stelle Mitarbeiter mit Erfahrung sitzen und die Lösung weiter vorantreiben.

Wie die Namensgeber des Unternehmens?

Ja, zum Beispiel. Familienunternehmen sind in der Regel sehr langfristig orientiert. Es herrscht da eher die Vorstellung, dass der Unternehmenswert auf lange Sicht erhalten bleibt und gesteigert wird. Ein guter Weg dorthin ist Innovation und Wandelbarkeit, um sich rasch ändernden Märkten und Kundenanforderungen anzupassen. Der deutsche Mittelstand ist ein wesentlicher Innovationstreiber in der Wirtschaft und das sind sehr häufig Familienunternehmen wie die Claas Gruppe.

At first glance, the Claas group has little to do with the industries of the future. Most people know the company from agriculture: The paradigmatic Claas combine harvesters are known worldwide. And it is somewhat the counterpart to a VC driven startup eager for an multi million exit. Class is 100 years old, not public but family owned, and residing in the rural lowlands north of the Ruhr Area. But from the beginning Claas was an innovative company – new agricultural machinery, new techniques, new markets. The shareholders have built up an export-oriented, global company, where about 75 percent of revenue is made outside of Germany today. And they take the next step: Claas Agrosystems is developing its own telemetry systems. Similar to cars, assistance systems are a big thing in agriculture. They are primarily meant for precision farming. Here, a vehicle using GPS is accurately controlled to a few centimeters. „Only innovative, moving companies are long term“, says Dr. Jens Möller, CEO of Claas Agrosystems. Family owned, often midsized companies like Claas are a key driver of innovation in german economy. „Leadership in innovation and technology is part of our strategy. Basically, this is our company’s culture and we maintain it very intense.“

Ausflug ins Zwischenreich – Bücher in Digitalien

Buchbranche und Digitalkultur, das ist keine Liebesbeziehung. Es gibt da ein großes Unverständnis für die Entwicklung der letzten Jahre. Die viel zitierte digitale Kluft wird hier manchmal überdeutlich, wie das folgende Zitat zeigt. Es ist echt, wirkt aber wie vom Postillon geklaut: „Man schaut sich die Dinge an, probiert sie aus, entscheidet sich und geht dann nach Hause und bestellt am Computer. […] Es ist kaum übertrieben, wenn man dieses Verhalten als eine Art Diebstahl betrachtet.“

Das klingt wie Realsatire, ist aber von einem waschechten Verleger alter Schule. Er beschimpfe lieber seine Kunden, als unternehmerisch zu denken, urteilt Verlagsberater Leander Wattig in seinem Blog. Aber was genau meint der Verleger, wenn er von Diebstahl redet? Es geht ihm um den von vielen Händlern gefürchteten Showrooming-Effekt: Im Geschäft gucken und beraten lassen, aber online und möglichst noch vor Ort mit dem Smartphone kaufen.

Ein Blick in die USA ist hilfreich, denn dort wird Showrooming schon viel länger diskutiert. Keine Panik, meint das US- Fachblog eConsultancy, denn es kann leicht bekämpft werden. Händler sollten die Digitalisierung freudig umarmen, zum Beispiel mit einer eigenen App, gut sichtbaren QR-Codes für den App-Download, iPads für die Produktinformation, kostenlosem WiFi und einer Präsenz auf Facebook. Das funktioniert für viele Branchen recht gut und es würde auch im Buchhandel funktionieren – Aufgeschlossenheit für neue Ideen vorausgesetzt.

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Die Digitalisierung freudig umarmen, das macht die Solingerin Stefanie Leo jeden Tag. Sie ist die Gründerin und Chefin der Bücherkinder. Sie ist die Erfinderin der Wohnzimmerlesung, die von ihrem privaten Wohnzimmer aus ins Internet gestreamt wird. Sie bloggt, twittert und facebookt über ihre Erfahrungen mit Kindern, Büchern und dem Internet.

Außerdem ist sie außerhalb des Internets aktiv: Sie schreibt für die Fachzeitschrift Eselsohr, bietet Kinderbuch-Ausstellungen in Kitas im Rheinland an, berät Schulbibliotheken bei der Anschaffung neuer Bücher und hält Vorträge. Kurz: Stefanie Leo ist für die Sache der Kinderbücher ein Nachrichtendrehkreuz in Person.

Der Beginn von all dem waren Bilderbücher für ganz junge Kinder, nämlich die von Stefanie Leo. Sie hatte die Erfahrung gemacht, das gute Kinderbücher zum Vorlesen und Anschauen schwer zu finden sind. Zwar funktioniert der Buchmarkt wie eine gut geölte Maschine. die jedes Jahr 100.000 Neuerscheinungen ausspuckt – davon hunderte Kinder- und Jugendbücher. Aber im Unterschied zu „Erwachsenenbüchern“ gibt es keinen Feuilletonbetrieb, der wenigstens ein paar Schneisen in dieses Dickicht schlägt.

Ein Medium, in dem Eltern bewährte Bilderbücher finden, das wäre doch was, dachte die Solingerin. Und was ist im 21. Jahrhundert ein Medium, das jeder einfach so nutzen kann? Das Internet. Also mietete Stefanie Leo anno 2002 Webspace, um anderen Eltern die bei ihren drei Kindern beliebten Bücher vorzustellen.

Der Rest ist Geschichte, aus dem spontan aufgebauten Angebot wurde völlig ungeplant viel mehr. Inzwischen gibt es eine Redaktion aus 50 Kindern und Jugendlichen, die Bücher erst lesen und dann bewerten. So entstanden bis heute etwa 4.500 Buchbesprechungen. Das sind längst nicht mehr nur Bilderbücher, sondern Erzählungen, Sachbücher und Romane für alle Altersstufen.

Darüber hinaus nutzt Stefanie Leo Facebook und Twitter, um Leute und Dienstleister in der Kinderbuchszene miteinander zu vernetzen. So ist nach und nach ein Ökosystem entstanden, das aus Fans der Bücherkinder, Facebook-Freunden, Realwelt-Kontakten in Verlagen, Buchhandlungen und Bibliotheken besteht.

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Aus den Erfahrungen von Stefanie Leo zeigt sich: Facebook und Twitter eignen sich als „Soziales Graswurzelnetzwerk“, um ohne großen Aufwand Werbung für ein Nischenthema zu machen. Der Bekanntheitsgrad der Bücherkinder und der Lesungen steigt langsam, aber stetig an – wem sie einmal aufgefallen sind, der empfiehlt sie gerne weiter.

Mit tausenden Besuchern ihrer Bücherkinder-Website, über 2.200 Twitter-Followern und gut 3.100 Facebook-Fans hat sie eine gut funktionierende Schnittstelle zwischen Büchern und Internet aufgebaut. Diese Verbindung zwischen analog und digital will bei vielen Verlagen und Buchhandlungen nicht so recht in die Gänge kommen. Stefanie Leo gelingt sie scheinbar mühelos.

Das liegt sicher an ihrer verbindlich-freundlichen Art, ihrer Fähigkeit zum Gespräch und ihrem Interesse an Büchern und an Menschen. Es liegt aber vielleicht auch an der Idee der Empfehlungen. Das ist so etwas der Kern der Bemühungen von Stefanie Leo. Kinder empfehlen anderen Kindern Bücher, Bücherleute empfehlen den besten Umgang mit sozialen Medien, Eltern empfehlen Links zu interessanten Websites rund um Kinderbücher.

Der lokale Buchhandel hat schon immer auf Empfehlung und Beratung gesetzt. Der Schritt ins Internet ist naheliegend. Durch die mehrseitige Kommunikation in Blogs oder sozialen Netzwerken lässt sich die buchhändlerische Empfehlung leicht digital nachbilden. Und sie lässt sich durch den Aufbau einer Fangemeinde abstützen. Dadurch entsteht ein Zwischenreich, das den klassischen Buchhandel und die neuen Möglichkeiten des Internets vereint.

Doch viele Buchhändler, aber auch Verlage verhalten sich eher abwartend. „Die Buchbranche befindet sich in einem enormen Umbruch durch E-Books, E-Commerce und viele andere Dinge,“ sagt Stefanie Leo. „Ich stehe da mittendrin. Es ist eine sehr spannende Zeit.“ Die ausgebildete Schriftsetzerin blickt von außen auf die Branche. Dort entdeckt sie viel Nachholbedarf: „Die Schuld an Problemen wird gerne bei anderen gesucht, auch beim bösen Kunden, der zu Amazon geht. Es wird nicht gefragt: Was können wir tun?“

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„Eine Redaktion aus 50 Kindern und Jugendlichen macht viel Arbeit“, meint Stefanie Leo. „Ich kann aber vieles über soziale Medien organisieren. Die Redaktion koordiniere ich zum Beispiel über eine geschlossene Facebook-Gruppe.“ Nur für den Versand der ausgewählten Titel ist immer noch die Büchersendung der Post wichtig, der teure Teil der Aufgaben bei den Bücherkindern. Einnahmen erzielt sie unter anderem mit Verlagswerbung und Amazon-Links – zu wenig, wie sie findet.

„Kinderbuchempfehlungen sind leider kein besonders gutes Geschäftsmodell.“ Oft herrsche die Meinung vor, es sei ja für die Kultur und die Kinder, da könne man kein Geld verlangen, erzählt sie von ihren Erfahrungen. Die Umsätze aus ihrer Website sind zu gering, um als alleiniges Familieneinkommen auszureichen. Allerdings: „Ich habe hier das ideale Arbeitsmodell für eine Mutter“, findet Stefanie Leo.

„Im übrigen sind die zahlreichen Kontakte, die ich über meine Website, Facebook und Twitter bekomme, unbezahlbar.“ Sie ermöglichen ihr auch Seminare und Vorträge im Bereich Social Media für Buchhandlungen. Dies führt dann zu weiteren Bekanntschaften. Durch die gestiegene Aufmerksamkeit ist es ihr unter anderem gelungen, für die Bücherkinder den avj-Medienpreis zu gewinnen. „Der hat mir wieder viele neue Kontakte ermöglicht und zahlreiche Türen geöffnet.“

Das Geschäftsmodell von Stefanie Leo setzt auf fleißiges Netzwerken, aus dem sich Honorare oder Anzeigenkunden ergeben. „Sicher könnte ich mehr machen“, sagt sie. „Mehr Vorträge und Seminare halten, mehr herumreisen. Aber das verträgt sich nicht mit meinem Hauptberuf als dreifache Mutter. Da bin ich bewusst altmodisch. Aber trotzdem: Ich mache, was ich liebe.“ Und wer kann das schon von sich sagen.

Bildquelle: Wilhelmine Wulff  / pixelio.de