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Die Gigafactory IV kommt

Der Chuck Norris der Tech-Branche hat zugeschlagen:

Was wirklich passiert ist: Elon Musk hat höchstpersönlich den Preis einer Autozeitung entgegengenommen, für das Model 3. In einem Nebensatz verkündete er, dass die Gigafactory 4 bei Berlin, auf der grünen Wiese in Brandenburg gebaut wird. Etwas später präzisierte Musk dann per Twitter: Dort werde unter anderen das Model Y gebaut und Ende 2021 soll es mit der Produktion losgehen. Von etlichen tausend Arbeitsplätzen war die Rede und tatsächlich sind bereits Stellenausschreibungen für Brandenburg auf der Tesla-Website zu sehen.

Eine Bauzeit von zwei Jahren ist recht optimistisch, schließlich sind wir hier nicht in China. Dort betrug die Bauzeit der Gigafactory 3  gut zehn Monate. Im Moment beginnt dort der Produktionstest für das Model 3 und möglichst schnell soll die Massenproduktion für den chinesischen Markt anlaufen. Doch Elon Musk wird sich der deutschen Eigenheiten bewusst sein. Darauf weist auch das milde Lächeln bei dem Satz hin, dass seine Fabrik ein wenig schneller als der Berliner Flughafen eröffnet werden müsse. Das mag so sein, wenn die Politik ihre Hausaufgaben gemacht hat. Es ist sicher sinnvoll, dass der nicht mit Industrieansiedlungen verwöhnte Flächenstaat Brandenburg ein möglichst rasches Genehmigungsverfahren für den Bau anstrebt.

Jenseits der Bedenkenträgerei

Eine Industrieansiedlung in dieser Größe, noch dazu im Einzugsbereich von etlichen Bundesländern mit hoher Arbeitslosigkeit, sollte eigentlich Grund für Euphorie sein. Doch eine typisch deutsche Reaktion kommt sofort: Zynismus. Das“Goldene Fass“ in diesem Genre gebührt dem Journalistenkollegen Stefan Laurin. Er verbreitete bereits wenige Stunden nach der Preisverleihung über Facebook eine dystopische Entwicklung, die er später noch ausmalte:

Vielleicht schon heute werden sich die ersten Bürgerinitiativen gegen den Bau gründen. Umweltverbände, die gegen die Fabrik klagen, werden sich ebenfalls finden. Irgendein Käfer, den heute noch niemand kennt und der für das Überleben von Grünheide und für Mutter Erde von existenzieller Bedeutung ist, wird sich schon finden. Und dann sind da noch das Klima, die Bodenversiegelung, die Lärmbelastung durch die Fabrik, die Belastungen bei ihrem Bau, die Gentrifizierung durch den Zuzug von Ingenieuren, die Ausbeutung der Tesla-Arbeiter, der Kapitalismus und irgendwas mit Frieden. […]

Musk weiß nicht, worauf er sich eingelassen hat: In fünf Jahren, wenn er vor einem Oberverwaltungsgericht um die Genehmigung des Baus der Abbiegespur kämpft, die dafür nötig ist, dass er die Zufahrtsstraße bauen darf, die zu dem bis dahin längst besetzten Grundstück führt, auf dem irgendwann seine Fabrik entstehen soll, wird er den gestrigen Tag verfluchen.

Quelle: Die Salonkolumnisten

Leider habe auch ich den erfahrungsgesättigten Eindruck, dass Laurin nicht ganz falsch liegt und dieses ziemlich düstere Szenario nicht vollkommen unwahrscheinlich ist. [Update 16.11.2019 10:40] Die ersten Anti-Tesla-Truppen ziehen sich zusammen.

So ist es also: Wir haben uns an die Unbeweglichkeit unserer Gesellschaft und unseres Staates, an die Technikfeindlichkeit vieler Leute, an das ewige Genörgel, die dauernde Bedenkenträgerei, die elende Suche nach dem Haar in der Suppe schon so gewöhnt, dass wir direkt mit Zynismus reagieren. Wir halten es für wahrscheinlich, dass hier eine neue Investitionsruine entsteht, ein neuer Sarg für Steuermilliarden – als Folge einer unübersichtlichen Gemengelage aus Partikularinteressen, gesetzlichen Regelungen und der Not-In-My-Backyard-Mentalität mittelalter Nörgelbürger aus Anti-Windkraft-Vereinen. OK, Boomer.

Jenseits des Zynismus

Neben dem brandenburgischen Ministerpräsidenten freut sich immerhin der Elektroauto-Unternehmer Günther Schuh über die Initiative von Elon Musk.

Tatsächlich ist die Entscheidung für Deutschland logisch: Hier gibt es jede Menge erfahrene Leute vom Facharbeiter bis zum Ingenieur, Synergien mit deutschen Mittelständlern aus Maschinenbau und Automatisierungstechnik und es ist denkbar, dass ein Tesla „Made in Germany“ ein europaweiter Verkaufsschlager wird.

Außerdem gibt es gerade in Deutschland viele kaufkräftige SUV-Fans, an die sich das Modell Y in erster Linie richtet. Es ist recht gut auf den deutschen und europäischen Markt zugeschnitten. Obwohl sich der Blick der SUV-Gegner immer auf Schlachtschiffe wie X7 oder Q7 richtet, verkaufen sich diese Brummer eher schlecht. Kompakt-SUVs dagegen sind die Autokategorie mit den größten Wachstumsraten – Elon Musk wird das berücksichtigt haben. (Am Rande bemerkt: Elon Musk ist das, was Rheinländer „positiv bekloppt“ nennen, also das völlige Gegenteil von dumm.)

Zum Schluss noch eine Auswahl an kritischen und begeisterten Kommentaren zur Gigafactory Berlin-Brandenburg:

Dass sich Musk ausgerechnet das Mutterland des Automobils als neuen Standort ausgesucht hat, spricht für das Selbstbewusstsein des Unternehmers. Er scheut nicht die Konkurrenz der etablierten deutschen Autobauer, er greift sie sogar unmittelbar an.

Don Dahlmann, Gründerszene

Musk macht in jüngster Zeit nicht mehr mit Eskapaden von sich reden, sondern mit Fortschritten im Geschäft. Tesla meldete gerade zum ersten Mal seit einigen Quartalen wieder einen Gewinn und gab dabei auch Anlass zur Hoffnung, profitabel bleiben zu können.

Roland Lindner, F.A.Z.

War Tesla für die deutschen Autobauer anfangs ein belächelter Gernegroß und alsbald ein ernstzunehmender Wettbewerber, dürfte sich die Sache jetzt umkehren.

Henrik Böhme, Deutsche Welle

Musk ist bekannt für seinen unermüdlichen Einsatz. Und den fordert er auch von seinen Leuten. Dabei ist ihm egal, ob es sich um Kolleginnen aus dem Topmanagement oder vom Fließband handelt.

Anne-Katrin Schade, Zeit Online

Spektakuläres Ende dieser Geschichte war, dass DeLorean beim Drogenschmuggel gefilmt wurde. Schließt sich hier ein Kreis zum Kiffer Elon Musk?

Kevin P. Hoffmann, Tagesspiegel

Elektrisierend: Der neue VW ID.3

  • © Volkswagen AG
    Der neue VW ID.3 ist da.

Daran habe ich nicht geglaubt: Dass es ausgerechnet einem der größten und (Halten zu Gnaden) von außen komplett einbetoniert wirkenden Konzerne — der Volkswagen AG — gelingt. Nämlich ein Auto der Kompaktklasse zu bauen, das auf Augenhöhe mit Tesla ist; wenigstens auf Zehenspitzen. Natürlich käme es für eine endgültige Bewertung auf einen mehrwöchigen Praxistest an. Mein Erkenntnisse sind zu 100 Prozent theoretisch und gewonnen aus der Auswertung diverser YouTube-Videos und Presseberichte.

Innen ein Passat, außen ein Golf

Von außen wirkt der Wagen modern und elegant, obwohl er eine kurze und auf den ersten Blick etwas knubbelig wirkende Fronthaube hat. Er erinnert damit ein wenig an einen Kompaktvan. Der Wagen ist in etwa so lang wie ein Golf (4,26 m), hat aber dank der verkürzten Front einen deutlich größeren Radstand von 2,77 Metern — was nach Auskunft von Kennern einem Passat entspricht.

Dadurch wirkt der Wagen wie ein quantenphysikalisches Wunder: Er ist innen größer als außen. Das liegt an den üblichen Relationen von Autos der Jetztzeit. Sie sind nämlich insgesamt sehr pausbackig, da die ganze Bordelektrik mit Zillionen Stellmotoren, Knautschzonen und Aufpolsterungen für Airbags und Soundsysteme schließlich untergebracht werden müssen. Das vergrößert die Wagen enorm und der Innenraum wächst nicht mit. Die geringe Größe von Elektromotoren sowie das niedrige Volumen der Zusatzaggregate erlauben deshalb einen deutlich größeren Innenraum bei gleichen Außenmaßen.

Eine weitere Van-Anmutung bewirken die Akku-Packs im Boden. Sie bedingen eine etwas erhöhte Sitzposition, die beim ID.3 allerdings zu einer recht geringen Kopffreiheit führt. Hier hätte VW noch ein paar Zentimeter hinzulegen können. In YouTube-Videos von der IAA war zu sehen, dass Leute meiner Größe (1,91 m) so gerade eben hineinpassen. Meinen Schwager (2,04 m) möchte ich eigentlich nicht im ID.3 sitzen sehen …

Die techno-spartanische Revolution geht weiter

Der Instrumentenbereich ist scheinbar karg eingerichtet. Doch das hat seinen Grund, denn erstens steigt die Anzahl der Funktionen in einem Auto. Dadurch wird die herkömmliche Bedienung über eine Batterie an Knöpfen, Schaltern und Hebeln immer undurchschaubarer. Zweitens ist die Vielzahl der Bauteile schlicht ein Kostenfaktor. Sie müssen eingekauft, Löcher und Verkabelung montiert werden und nicht zuletzt vervielfältigt sich der Montageaufwand durch Konfigurationsoptionen.

Die Vielfalt der Funktionen und Ausstattungsvarianten lässt sich über einen Touchscreen viel leichter abbilden. Per Software kann ohne Kostenaufwand ein Knöpfchen hier oder ein Slider da eingeblendet werden. Darüber hinaus ist es auch möglich, Funktionen jederzeit nachzurüsten. Tesla hat’s vorgemacht, die Benutzeroberfläche des großen Touchscreens in der Mitte hat sich von Versionssprung zu Versionssprung deutlich verändert. Das gibt den Herstellern die Möglichkeit, aus Feedback zu lernen und dabei Verbesserungen sofort allen Kunden verfügbar zu machen.

Software-basierte Instrumentierung wird sicher bald zum Standard in allen Fahrzeugklassen gehören. Zwar kostet auch deren Entwicklung Geld, doch sie ist deutlich flexibler. So ist es möglich, ein Autobetriebssystem zu schaffen, dass für alle Autoklassen vorbereitet ist. Dann unterscheidet sich der Kleinstwagen vom Oberklasse-Flaggschiff auf Seiten der Software nur durch die im „Build“ verwirklichten Funktionen. Und tatsächlich: VW konzipiert zur Zeit ein einheitliches Car-OS, das in allen Modellen aller Marken eingesetzt werden soll.

Die richtige Reichweite für den typischen Fahrer

Praktisch für die Kalkulation des Autokaufs: Den ID.3 gibt es mit gestaffelten Akkugrößen und deshalb auch Staffelpreisen. VW gibt Kapazitäten von 45, 58 und 77 kWh für Reichweiten von 330, 420 und 550 Kilometern an. Sie werden mit dem halbwegs realitätsnahen WLTP-Zyklus bestimmt. Erfahrene Elektroautofahrer sagen, dass diese Angaben allerdings nur dann realistisch sind, wenn der Fahrer ganz entspannt unterwegs ist, etwa auf der Autobahn mit wenig mehr als 100 km/h.

Außerdem hängt die Reichweite auch von der Effizienz der Elektromotoren und der Leistungsentnahme aus den Batterien ab. Das Tesla Model 3 gilt hier als vorbildlich und kann dies auch in der Praxis beweisen: Elektroauto-Pionier Holger Laudeley schafft es, mit seinem Tesla ohne Ladestopp von Bremen nach Berlin zu fahren, indem er mit gemütlichen 90-100 km/h ganz rechts einem Lkw „hinterherökologisiert“. Es bliebe sogar noch genügend Restkapazität übrig, um eine Sightseeingtour durch Berlin zu fahren.

Der kleinste Akku eignet sich für budget-bewusste Wenigfahrer, die das Auto nur selten und über nicht so lange Strecken bewegen. Mal ehrlich: Dieses Nutzungsszenario trifft auf mindestens 90 Prozent aller Autobesitzer zu. Doch auch Pendler sind mit dem Einstiegsmodell gut bedient, eine Tagesleistung von 200+ Kilometern ist drin. Wer jetzt noch zu Hause und am Arbeitsplatz laden kann, hat im laut VW unter 30.000 Euro liegenden Einstiegsmodell eigentlich das ideale Elektroauto. Durch die serienmäßig verfügbare Schnellladung mit 100 Kilowatt sind auch längere Strecken möglich, erfordern aber ein paar Ladestopps mehr als mit dem größten Akku.

Die deutsche Krankheit: Morbus Pretiosa Configuratio

Die deutschen OEMs sind die Weltmeister der verdeckten Preisexplosion. Gerne bewerben sie die Preise der Einstiegsmodelle ohne zusätzliche Pakete und Optionen. Das sieht dann ganz ordentlich und mittelklasse-artig aus. Doch das böse Erwachen kommt, wenn man ein bisschen Komfort, den ein oder anderen Assistenten und ein paar Sicherheitsmerkmale möchte. So ist es auch beim ID.3, viele Komponenten gibt es nur gegen Aufpreis, einige davon sind sogar unerlässlich für das richtige Elektroauto-Feeling.

So besitzt die Serienversion des ID.3 zwar einen Wärmetauscher, aber keine Wärmepumpe — die ist nur zusätzlich zu buchen. Der Unterschied: Der Tauscher führt Wärme ab, die Pumpe beherrscht auch die Gegenrichtung und kann den Akku vorwärmen. Ein Akkumanagement mithilfe von Wärmepumpen ist ideal. Der Grund: Stromaufnahme und -entnahme am Akku sind nur in einem engen Temperaturbereich optimal. Die Wärmepumpe führt die bei schneller Fahrt und schnellem Laden entstehende Wärme ab und temperiert den kalten Akku im Winter vor. Zudem ermöglicht sie auch eine effiziente Innenraumheizung, die nicht rein elektrisch ist und das Bordnetz belastet.

Eine Wärmepumpe hat zudem den Vorteil, dass die hohen Geschwindigkeiten des DC-Ladens in jeder Situation ausgenutzt werden können. Denn Leistungseinbrüche gibt es ohne dieses Gerät nach schnellen oder langen Fahrten sowie nach Kurzstrecken bei winterlichen Temperaturen. Gut, das sich VW bei dieser Technologie an Tesla orientiert hat; schlecht, das es die Wärmepumpe nur gegen Aufpreis gibt. In der Praxis wird sich zeigen, wie gut der Wärmetauscher arbeitet oder ob es wie beim Nissan Leaf 2 zu Problemen auf längeren Fahrten mit mehreren Ladestopps kommt — dort bricht die Ladeleistung mit jedem Stopp immer weiter ein.

Motorleistung: Ausreichend in jeder Situation

Ungewöhnlich für VW ist die einheitliche Motorisierung der drei Varianten. So gibt es ausreichende 150 PS (110 kW) mit beeindruckenden 310 Newtonmetern Drehmoment. Zum Vergleich: Der in der Leistung vergleichbare 1,5 l TSI-Motor bringt in einem Golf mit Doppelkupplungsgetriebe etwa 250 Newtonmeter bei optimaler Drehzahl. Auch die Beschleunigung des Elektroautos ist besser, die Version mit 77 kW Akku ruft enorme Leistung ab und bringt es in 7,5 Sekunden auf 100 km/h. Der TSI braucht fast eine Sekunde mehr.

Doch bei Elektromotoren ist die Frage nach der Leistung im Grunde überflüssig, sie ist normalerweise in jeder Situation ausreichend. Cool ist allerdings das bei Elektromotoren sehr hohe und praktisch direkt nach dem Anrollen wirksame Drehmoment. Normalerweise schlägt ein Elektroauto beim Ampelstart jedes Verbrennerfahrzeug mit gleicher Leistung und zwar völlig problemlos. Und seien wir (wieder einmal) ehrlich: Schon geil, dass man mit dem Tesla Model 3 Perfomance eine Endgeschwindigkeit von 261 km/h erreicht – aber wo sollte man so schnell fahren und warum?

Ebenso ungewöhnlich für VW ist der Heckantrieb. Doch dieses Antriebskonzept hat in einem Elektroauto erhebliche Vorteile. Es erlaubt erstens die kurze Front bei großen Innenraum und zweitens ein vergleichsweise sportliches Fahrverhalten — ein Praxistest müsste aber die theoretische Aussage prüfen. Auch im Winter sollte der Heckantrieb wegen der Motorposition an der Hinterachse unproblematisch sein, zumal die Zusatzaggregate vorne liegen und die Straßenlage verbessern. Zum Vergleich: Fahrer von Teslas mit Heckantrieb berichten von einem völlig problemlosen Fahrverhalten bei Schnee.

Wenn der Riesentanker eine Heckwende macht

Der ID.3 ist ein Fahrzeug der Golfklasse und richtet sich damit an durchschnittliche Autofahrer(innen) mit einem durchschnittlichen „Use Case“. Er ist aufgrund seines großen Innenraums und des normal dimensionierten Kofferraums ein guter und bequemer Familienwagen für bis zu vier Personen. Außer für Vielfahrer und Langstreckenpendler sollte die Basisversion mit der geringsten Reichweite ausreichen, aber im Alltag kaufen die meisten Leute lieber einen Sicherheitspuffer dazu. Sie fahren also eigentlich zu groß dimensionierte Autos. Das wird beim ID.3 nicht anders sein.

Dem Volkswagen-Konzern ist es gelungen, ein wirklich gutes Elektroauto auf den Markt zu bringen. Es befriedigt die Erwartungen und Wünsche der heutigen Autofahrer, berücksichtigt die Besonderheiten von Elektroautos und weist in die Zukunft — etwa durch den Einsatz von Touchscreens, Head-up-Displays und berührungsaktiven Knöpfen (wo es sie überhaupt noch gibt). Weder bei der Ausstattung noch bei der Reichweite müssen die Käufer große Kompromisse eingehen.

Doch wird der Wagen auch ein Verkaufsrenner? Das ist schwer vorherzusagen, denn die Preise sind schon ganz ordentlich. So wird für eine Vollausstattung mit großem Akku vermutlich ein Preis jenseits der 50.000 Euro fällig. Hier befindet sich VW in Tesla-Dimensionen, das Model 3 Performance kostet ohne weitere Optionen ähnlich viel. Der vergleichsweise hohe Preis ist den im Moment noch hohen Akkupreisen geschuldet, denn VW muss Zellen zukaufen, während Tesla sie selbst herstellt. Das zeigt, dass die deutschen OEMs spät dran sind. Trotz seiner hohen Qualität muss der ID.3 erst noch zeigen, ob er VW zum elektromobilen Erfolg führt.

Digitalboom in China

China Internet Report 2019 herunterladen

China hat es geschafft: Es besitzt in einigen Bereichen der Digitalwirtschaft einen deutlichen technologischen Vorsprung gegenüber Deutschland und Europa.. Ob es nun um Elektromobilität, 5G-Mobilfunk oder künstliche Intelligenz geht – in China ist Realität, worüber Deutschland noch umständlich diskutiert.

Ein Beispiel: Hierzulande sind laut Statista lediglich 228 Elektrobusse unterwegs. In China dagegen fahren nach Untersuchungen von Bloomberg etwa 421.000 dieser Gefährte. Städte wie Guangzhou und Shenzhen haben inzwischen ihre gesamte Busflotte auf Elektromobilität umgerüstet. Im Moment betreiben chinesische Nahverkehrsanbieter etwa 20 Prozent der Busse elektrisch, bis 2040 sollen es 70 Prozent werden.

Chinas Digitalwirtschaft boomt enorm

Auch in der Digitalwirtschaft prescht China vorneweg, wie der China Internet Report 2019 der englischsprachigen South China Morning Post zeigt. Er bietet eine Vielzahl an interessanten Zahlen zu verschiedenen Branchen der Digitalwirtschaft und zur Internetnutzung in China. Der Bericht zeigt deutlich: Dank des riesigen Binnenmarkts skalieren beispielsweise Apps oft schneller als im englischsprachigen Raum. Darüber hinaus sind die chinesischen Entwickler durchaus innovativ und werden inzwischen häufig selbst kopiert. So zogen die superkurzen Videos von TikTok eine Welle an Nachahmern hinter sich her.

Solche Entwicklungen zeigen, dass mit China zu rechnen ist. Dabei hat das Land neben dem Binnenmarkt ein weiteren Vorteil: Als Nachzügler und ehedem unterentwickeltes Land konnte es einige technologische Zwischenstufen einfach überspringen. So bedeutet Internetnutzung in China in erster Linie mobiles Internet und eine große Mehrheit nutzt auch Mobile Payment. Die unterschiedlichen Zahlungsdienste haben etwa 583 Millionen Nutzer, was einer Verbreitung von 42 Prozent entspricht – es gab vorher kein gut ausgebautes Bankensystem. In Deutschland nutzen dagegen lediglich gut 4,1 Millionen Personen oder etwa zwei Prozent das mobile Bezahlen.

Daran zeigt sich eine Besonderheit von China: Die Bevölkerung steht technologischen Neuerungen sehr offen gegenüber. Sie interessiert sich in höherem Maße für die Sharing-Ökonomie wie beispielsweise Ridesharing. Hier gibt es zwar eine ganze Reihe von Anbietern, doch absoluter Marktführer (91 %) ist Didi Xuching. Auch Smart Speaker mit Sprachschnittstelle haben sich in einem Jahr rasant verbreitet. So wird inzwischen jedes zweite Neugerät in China ausgeliefert.

Bald haben 176 Millionen Chinesen 5G-Mobilfunk

Die deutsche Politik konnte sich trotz der desaströsen Erfahrungen mit der Versteigerung der UMTS-Lizenzen nicht zurückhalten: Auch die 5G-Lizenzen sind wieder versteigert worden, für sechs Milliarden Euro. Das bindet natürlich enorme Mengen von Investitionskapital, führt zu einer eher negativen Konkurrenzsituation und für die zukünftigen 5G-Nutzer sicher wieder mal zu überteuerten, aber schlechten Mobilfunkverbindungen.

China dagegen hat das 5G-Problem mehr oder weniger per Anweisung geregelt. Die Regierung hat die drei großen Telkos zur Zusammenarbeit bei 5G verdonnert und zahlreiche Auflagen gemacht. Dafür geht es dann recht schnell voran. Bis Ende des Jahres sollen 200.000 Basisstationen online sein, sodass in einigen Metropolregionen 167 Millionen Person potenziell Zugriff darauf haben.

Die Konsequenz: In Deutschland hat der Staat ein paar Euro, mit denen er Haushaltslöcher stopfen kann. China kann dagegen den technischen Vorsprung in Sachen 5G ausbauen. Der ist ohnehin nicht klein, denn der Telko-Riese Huawei aus Shenzhen bietet die zur Zeit technisch fortgeschrittensten und ausgereiftesten 5G-Netzwerkkomponenten an.

Der Vorsprung bei Computer Vision wächst

Künstliche Intelligenz (KI) wird in China besonders stark gefördert. Die Regierung hat dieses Thema als eines der wirtschaftlichen und technologischen Schlüsselthemen für die nächsten 50 Jahre identifiziert und entsprechende strategische Förderprogramme aufgelegt. Besonders stark ist China im Bereich Computer Vision, vor allem bei der Gesichtserkennung.

  • So wird Gesichtserkennung auf einem Bahnhof in Shenzhen zum Bezahlen genutzt. Pendler scannen ihr Gesicht auf einem Tablet am Eingang und lassen den Fahrpreis von ihrem Bankkonto einziehen. E-Commerce-Riese Alibaba hat ein Hotel, in dem sich die Zimmertüren durch Gesichtserkennung öffnen.
  • Doch auch andere Formen von Machine Learning sind im Einsatz. So bietet Alibaba die Positions- und Fahrdaten seiner Lieferfahrzeuge den lokalen Verwaltungen an, die damit die Anfahrtszeiten von Krankenwagen durch bessere Planung verkürzen.
  • Eine wichtige KI-Anwendung ist die Personenerkennung durch Kameras an allen möglichen Standorten. Sie dient einerseits der Verbrechensaufklärung und andererseits der Vorbereitung des von der chinesischen Regierung propagierten Social-Score-Systems. Dort gibt es für „vertrauenswürdiges Verhalten“ Punkte, für das Gegenteil Punktabzüge.

Wirtschaft und Regierung investieren in Zukunftsbranchen

Der Vorsprung in Sachen Gesichtserkennung liegt an der leichten Verfügbarkeit von Daten. Mangels Datenschutz und durch die hohe Verbreitung von Social-Media-Profilen mit Fotos und Videos haben chinesische KI-Entwickler Zugriff auf eine gigantische Menge an „gelabelten“ Trainingsdaten für die Entwicklung von Anwendungen.

Entsprechend investiert die Wirtschaft in China stark in KI. Der chinesische Anteil der globalen KI-Investments ist innerhalb von fünf Jahren von drei auf 14 Prozent angestiegen. Auch das Thema autonome Fahrzeuge wird stark unterstützt. So haben zahlreiche chinesische Städte ihre Straßen ganz oder teilweise für fahrerlose Autos geöffnet und verteilen Lizenzen an interessierte Unternehmen aus aller Welt.

Zwar nutzt die chinesische Suchmaschine Baidu mit ihrer KI-Tochter die Hälfte dieser Lizenzen, doch in der anderen Hälfte des Lizenzpools tauchen auch deutsche Autohersteller wie BMW, Mercedes und Audi auf. Der Grund ist ganz einfach: Während in Deutschland noch über mögliche rechtliche Probleme diskutiert wird, können die Unternehmen in China bereits Testfahrzeuge einsetzen.

Tesla stolpert in die #servicehell

© Tesla, Inc.
© Tesla, Inc.

Teslas größter Feind ist keiner der traditionellen Autohersteller. Sie bieten (im Moment) keine konkurrenzfähigen Modelle. Der technische Vorsprung des US-Unternehmens bleibt trotz aller Anstrengungen groß: Hervorragende (bald Kobalt-freie) Akkus mit einem ausgereiften Temperaturmanagement, hocheffiziente Elektromotoren und eine beispiellose Software. Kurz: Die OEMs bauen E-Autos, Tesla dagegen liefert ein Gesamtkonzept inklusive Supercharger-Infrastruktur.

Doch während der letzten Monate ist ein neuer Gegner für Tesla aufgetaucht, der den Erfolg des Unternehmens bedroht: Tesla selbst. Denn mögen auch die Autos einen technologischen Spitzenplatz einnehmen, die Qualitätssicherung und der Service vor, während und nach der Auslieferung ist unterirdisch – finden viele Tesla-Besitzer wie Marcus Mayenschein.

Verarbeitung schlechter geworden, meint Tesla-Fahrer

Der Rastatter ist langjähriger Modell-S-Besitzer und fährt seit kurzem ein neues Model S Performance. Grundsätzlich ist er begeistert von den Neuerungen in der aktuellen Serie mit der internen Bezeichnung „Raven“, die seit dem Mai ausgeliefert wird. „Aber die Verarbeitung und der Lack sind definitiv schlechter als vor 3 Jahren! Dies weiß ich auch von zahlreichen privaten Zuschriften“, schreibt er zu einem 15-minütigen Video, in dem er alle Probleme vorstellt und auch die ersten Reparaturen zeigt.

Mayenschein führt die Probleme in erster Linie auf Personalmangel bei gleichzeitiger Priorität einer möglichst raschen und zahlreichen Auslieferung zurück. Dadurch wird offensichtlich die Übergabe eines problemfreien Autos zum Glücksspiel. Dieser Käufer eines Model 3 hat nichts zu klagen. Das Auto ist perfekt verarbeitet, wie Tesla-Doc Ove Kröger beim Check feststellte. Demgegenüber stehen zahlreiche Käufer, die zum Teil erhebliche Mängel hatten, wie dieser Thread im Forum „Tesla Fahrer und Freunde“ zeigt.

Die Liste der Schwierigkeiten ist lang: Schlechte oder fehlende Lackierung, falsch montierte Bauteile, elend lange Wartezeiten auf einen Reparaturtermin beim Servicecenter, keine Rückrufe, nicht erreichbarer Service, und so weiter und so fort. Wer eine Stunde Zeit hat, sollte sich dieses Video anschauen. Mayenschein und der mit ihm befreundete Tesla-Fahrer Gabor Reiter diskutieren hier intensiv über die aufgezählten Probleme. Sie fordern von Tesla, dringend Qualitätssicherung und Service zu verbessern. Andernfalls vergraule das Unternehmen potentielle Kunden abseits der innovationsfreudigen Early Adopter der Elektromobilität.

Hallo Tesla: Die Zeit der Early Adopter ist vorbei

Bei ihnen gibt es eine gewisse Leidensfähigkeit: Wer in einer frühen Phase innovative Technik nutzt, ist durchaus bereit, niedrigere Standards bei Qualität und Service zu ignorieren. Doch langsam findet die Elektromobilität auch Aufmerksamkeit bei durchschnittlichen Autokäufern, die für ihr Geld ein hochwertiges Auto und herausragenden Service wünschen.

Der typische Autokäufer möchte losfahren und längere Zeit keine Werkstätten und Servicecenter von innen sehen. Und falls doch mal etwas ist, möchte er Termine oder Ersatzteile nicht innerhalb von zwei Monaten, sondern zwei Tagen. Neukunden erwarten von Tesla also einen Auftritt wie ein typischer OEM. Dies betrifft auch den B2B-Markt, der bei den traditionellen Autoherstellern überlebensnotwendig ist Wenn Tesla langfristig überleben will, muss es auch diesen Markt angreifen. In Teilen passiert das bereits, denn einige Autovermietungen haben sich auf Elektromobilität spezialisiert.

Die größte ist NextMove aus Leipzig, die 380 Elektrofahrzeuge zur Kurz- und Langzeitmiete anbieten, neben den Modellen von Tesla auch von allen relevanten Herstellern. Stefan Moeller, einer der beiden nextmove-Gründer, hat von Anfang an Tesla-Modelle in das Portfolio aufgenommen. Sie gehören natürlich zu den gefragtesten Mietfahrzeugen und so hat das Unternehmen im Dezember 2018 einhundert (!) Model 3 bestellt. Insgesamt ging es also um eine Bestellung im Wert von mehr als fünf Millionen Euro, wenn man den Grundpreis einer Long-Range-Version zugrunde legt.

Nur jedes vierte Model 3 für nextmove war fehlerfrei

Doch bei der Auslieferung waren die nextmove-Mitarbeiter überrascht: „Nach der Auslieferung der ersten 15 Modell 3 musste nextmove wegen schwerer Qualitäts- und Sicherheitsmängel die Auslieferung weiterer Fahrzeuge stoppen. Nur jedes vierte Fahrzeug war fehlerfrei, in einigen Fällen waren die Fahrzeuge nicht einmal fahrtüchtig.“ Die übliche Vorgehensweise bei Tesla ist nun, alle Mängel bei einem späteren Termin im Servicecenter oder einer zertifizierten Werkstatt zu beheben.

Doch solche Termine können im Moment durchaus in weiter Zukunft liegen. Darüber hinaus gibt es teils sehr lange Lieferfristen für Ersatzteile, sodass ein Fahrzeug wochen- oder sogar monatelang nicht genutzt werden kann. Für eine Autovermietung ist das nicht hinzunehmen, denn in aller Regel laufen Leasingverträge oder Finanzierungen und Kunden müssen vertröstet oder sogar entschädigt werden.

Wie machen das andere OM? Ganz einfach: Sie haben für ihre Geschäftskunden entsprechende B2B-Prozesse, die anders ablaufen als bei Privatkunden. Darüber hinaus ist die für Tesla typische Vorkasse unüblich. Die Autovermietung hat also Tesla vorgeschlagen, einen Sonderprozess zu vereinbaren. Das gelang scheinbar auch bei dem direkten Ansprechpartner, doch bereits am Folgetag wurde die Vereinbarung wieder gekippt und Tesla stornierte den Auftrag. Wer sich für alle Details der Geschichte interessiert, findet sie in diesem und jenem Video in großer Ausführlichkeit oder im nextmove-Blog etwas knapper erzählt.

Tesla muss sich weiterentwickeln

Diese Geschichte und die erste Reaktion von Tesla darauf (Der Kunde ist schuld) zeigen deutlich: Das Unternehmen muss sich dringend weiterentwickeln. Vor allem der CEO hat das nötig, findet das Manager Magazin. Ziert das Titelbild noch Elon Musk in Siegerpose, so geht es im Inneren des Heftes zur Sache: „Elektrovisionär Elon Musk scheitert an den Niederungen des Autogeschäfts.“ Und weiter: „Der Zuwachs der Fahrzeugflotte bringt die Serviceinfrastruktur an den Rand des Zusammenbruchs.“

In seinem typischen, stark personalisierenden Stil bringt das Manager Magazin verschiedene Analysten und Investoren als Kritiker in Stellung. Sie hätten Tesla bislang positiv gesehen und bekämen jetzt langsam Zweifel . Dazu gehört nach Ansicht des Magazins beispielsweise James Anderson vom größten Tesla-Investor Baillie Gifford. Er vermisst Wachstum, kritisiert die schlecht gemachte Kapitalerhöhung im Frühjahr und findet, Musk müsse sich nicht persönlich in jede kleine Entscheidung einmischen.

Wird Elon Musk also zum Problem? Er ist sicher nicht der typische graue Manager, der auf Zahlen achtet und seinen Laden auf Effizienz trimmt. Er ist einerseits ein Visionär, dessen Beharrlichkeit uns nicht nur Elektroautos, sondern auch wiederverwendbare Raketen mit schicken Landeanflügen gebracht hat. Zugleich hat er die Tendenz, seinen Hang zu unkonventionellen Lösungen auf kleinste Bereiche auszudehnen. Immerhin ist es ihm so gelungen, das Auto in Teilen neu zu erfinden.

Tesla darf seine Vergangenheit nicht aufgeben

Doch ständige Innovation ist teuer, kosteneffizienter Automobilbau lebt von langfristig geltenden Standards. Vermutlich muss sich Tesla in genau diese Richtung weiterentwickeln. Ein Spagat: Einerseits sollte das Unternehmen innovativ und visionär bleiben, es darf seine Vergangenheit nicht aufgeben. Doch andererseits muss es im Massenmarkt mit seinen geringen Margen Erfolg haben, um profitabel werden.

Dieser Spagat muss allerdings nicht zwingend von einer Person geleistet werden. Die Entwicklung von Tesla könnte auch bedeuten, dass sich Elon Musk auf die Position eines Chairman zurückzieht, der für Visionen und Innovation verantwortlich ist. Nun kann ein – womöglich aus der Autoindustrie stammender – angestellter CEO unauffällig und geräuschlos, aber profitabel das klein-klein eines OEM abwickeln. Die Frage ist aber, ob Tesla dann immer noch Tesla ist.